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Turmbau zu Paris

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Turmbau zu Paris | story.one

Als Baumeister Kartenhaus seinen schiefen Turm vollendet und Pisa damit zu einer berühmten Stadt gemacht hatte, kehrte er nach Schilda zurück, um sich ein wenig auf seinen Lorbeeren auszuruhen. Doch bald schon ereilte ihn der Ruf des französischen Königs, der es Schilda und Pisa gleichtun und der Hauptstadt seines Reiches ein angemessenes Bauwerk schenken wollte, welches der Größe und dem Glanz seines Königs gerecht wurde.

Allerdings hatte ihm die englische Königin vor kurzem den Krieg erklärt, weshalb die feine englische Art in Frankreich gerade nicht en vogue war. Der König steckte seinen Gast für vierzig Tage in ein Boot auf der Seine. Er drohte, den Baumeister um einen Kopf kürzer zu machen, sollte dieser binnen der gesetzten Frist kein Bauwerk ersinnen, das sowohl das Rathaus von Schilda als auch den Turm zu Pisa an Glanz und Gloria überragen und den Großen Benjamin der englischen Königin in den Schatten stellen würde.

Der Leibköchin des Königs tat der arme Mann leid und sie stellte ihm jeden Abend ein köstliches Menü auf die Bordbrücke, damit der Baumeister nicht die Suppe auslöffeln musste, die ihm der König eingebrockt hatte. Und weil sie ein Faible für Käse hatte, beschloss sie jedes Menü mit einem Teller köstlich stinkender Käsestücke. In jedes steckte sie einen Zahnstocher mit dem Wappen der Provinz, aus der der Käse kam.

Da der Baumeister keinen Einfall hatte, wie er der Hauptstadt des französischen Reiches zu Weltruhm verhelfen könnte, vertrieb er sich die Zeit damit, die Zahnstocher aufzustellen und aneinander zu lehnen. Schon nach einer Woche hatte er auf diese Art ein Türmchen geschaffen. In der zweiten Woche schuf er ein Plateau, stockte es in der dritten Woche auf und kurz vor Ablauf der vierzig Tage setzte er den letzten Zahnstocher auf die Spitze. Dann begann er sich mit dem Gedanken anzufreunden, in wenigen Tagen kopflos zu sein.

Am vierzigsten Tag schickte der König eine Dienerin, um zu erfahren, welche Idee der Gefangene geboren hatte. Sie sah das zierliche Türmchen und hielt es für das Modell der Sehenswürdigkeit, die zu schaffen Kartenhaus verdammt worden war. Sie bat um die Erlaubnis, es dem König zeigen zu dürfen. Kartenhaus erlaubte es, da er mit seinem Leben ohnehin schon abgeschlossen hatte. „Diesen Turm hat der Baumeister für Paris ersonnen“, sagte die Dienerin und der König ließ sofort alle Kanonen und Glocken des Reiches einschmelzen und zu grandiosen Zahnstochern gießen. Als sie aufeinander getürmt waren, beorderte der König die Fackelträger der fürstlichen Höfe auf den Turm und hieß sie, dort Platz zu nehmen, wo die Wappen der Provinzen des Königsreichs steckten. Beim großen Markt im Jahr anno Schnee erstrahlte der Turm mit dem Licht tausender Fackeln und der König war mit Größe und Glanz seines Bauwerks zufrieden. Er taufte ihn Pariser und Baumeister Kartenhaus kehrte hoch dekoriert und um einen Kopf größer nach Schilda zurück.

© Christine Mayr 2022-08-02

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