Verbotsschilda
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Der Herbst nahte sich dem Städtchen Schilda und es wurde Zeit, den Plärrer vorzubereiten, das große Fest vor den Toren der Stadt.
Auf der Wiese, die als Festplatz diente, hatten während der warmen Jahreszeit allerlei Tiere gegrast und Häufchen und Haufen hinterlassen, in die zu treten die Schildbürgerinnen ihren Festgästinnen nicht zumuten wollten. Sie erließen daher ein Gebot, das es verbot, in den Wochen bis zum Plärrer Vieh auf das Festgelände zu treiben. Schildermaler Farbenklecks fabrizierte Schilder, die ein Wesen darstellten, das sowohl Schaf wie Ziege als auch Kuh oder Mensch sein konnte und pinselte zwei dicke, rote Striche darüber, die den Tieren und ihren Hirtinnen allerdeutlichst mitteilten, dass sie den festlichen Wiesengrund zu meiden hatten. Er stellte die Schilder am Wiesenrand auf, vergaß aber, sie nach dem Plärrer wieder wegzubringen. So hinderten sie im folgenden Frühling Hirtinnen und Vieh daran, die Wiese vor den Toren der Stadt zu nutzen.
Als sich dann der Sommer seinem Ende zuneigte, war das Gras fraushoch gewachsen und von Disteln und dornigem Gestrüpp durchsetzt. „Wir müssen das Gras mähen und die Dornen ausreißen“, sagte die Ochsenwirtin, die um ihre Einnahmen aus dem Festgelage fürchtete, und die Schildbürgerinnen erschraken ganz fürchterlich. „Es ist doch verboten, die Wiese zu betreten!“, sagten sie. Und die Pfarrerin, die sich von Berufs wegen mit zehn Geboten und noch mehr Verboten bestens auskannte, setzte hinzu: „Wer die Regeln der Göttin, unserer Herrin, missachtet, wird mit fürchterlichen Plagen bestraft.“ Die Schildbürgerinnen nickten zustimmend, wussten sie doch aus den Predigten der Pfarrerin, welche schrecklichen Strafen die Göttin für jene bereithielt, die sich ihren Ge- und Verboten widersetzten.
Während die Schildbürgerinnen ratlos vor ihrem Schilderwald standen und verzweifelt ihre Nasen rieben, gesellte sich eine in Lumpen gehüllte Gestalt zu ihnen. Es war der Waldtor, der in einer Höhle hauste und erbärmlich stank. „Was plagt euch denn?“, fragte er und die Ochsenwirtin schilderte die Misere, in die Schilda geraten war. Der Tor hörte überaus aufmerksam zu und sah in die mutlosen Gesichter. „Es sind doch nur Schilder“, sagte er auf seine tumbe Torenart und betrat die struppige Wiese. Den Schildbürgerinnen stockte der Atem. Sie erwarteten den Zornesblitz der Göttin, der auf sie niederfahren und Schilda in Schutt und Asche brennen würde.
Doch nichts dergleichen geschah. Der Tor zog die Schilder aus dem Boden und legte sie über seine Schulter. „Die brennen gut. Ihr Feuer wird mich im Winter wärmen“, sagte er und machte sich davon. Wenig später rückte die Gärtnerin mit der Sense an und eine Woche später wurde der Plärrer mit großer Fanfare eröffnet. Die hatte der Stadtmusikus eigens zu Ehren des Waldtors komponiert, der mit seinem einfältigen Geist den Plärrer und die Einnahmen der Ochsenwirtin gerettet hatte.
© Christine Mayr 2022-10-09
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