Vereint im Frühstücksglück
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In jener fernen Zeit, als man noch nach München fahren musste, um bei IKEA einzukaufen, war ich davon überzeugt, dass Befehlsstrukturen für die Fisch sind und Kommunikation auf Augenhöhe angesagt ist. PAX hat mich vor kurzem eines Besseren belehrt.
Meine Fortpflanze schaffte sich den Kleiderschrank an und bat mich, ihn mit ihr zusammenzubauen. Ich reiste mit Verbandskasten und stahlverstärktem Nervenkostüm an und brauchte beides nicht. Denn das von Hierarchieskepsis unbelastete Kind nahm das Heft mit der Anleitung in die Hand und sagte mir an, was womit und mit was zusammenzufügen sei. Ich kniete weit unter jeder Augenhöhe auf dem Boden und tat, wie mir geheißen. Der Kasten stand in kürzester Zeit felsafescht an der Wand.
Nun, seit der Schwede auch in Innsbruck wohnt, habe ich gelernt, dass PAX für mich keineswegs der größte Verführer im gelb-blauen Möbelhaus ist. Sondern das Frühstück. Sein Lockruf ist so lecker, dass ich es mir mit meiner Freundin M nur zu den heiligen Zeiten erlaube, sprich: zu unseren Geburtstagen. Denn sonst würde ich jeden Vormittag dort sitzen und die im Frühstücksglück vereinte Gästemischung beobachten und mich daran erfreuen.
Wir nehmen immer einen Tisch in der hintersten Ecke, um alle zu sehen, die da mit seligem Lächeln ihre Tabletts zu den Tischen tragen und sich mit noch seligerem Lächeln über Kaffee und Lachs, Semmel und weiches Ei hermachen und in ihrer genießenden Gemeinschaft das Werbeplakat zu ihren Köpfen übertreffen, das Multikulti in der IKEAküche propagiert. Perlenkette an faltigem Dekolletee sitzt hier neben Kopftuch auf Jungmuttergesicht, taschenreicher Arbeitsoverall neben bergbereitem Karohemd, blasser Teint neben schwarz wuchernden Augenbrauen, Kinderpatschhand neben distinguierter Lesebrille. Du hörst sprachliche Heimaten von der Innsbrucker Koatlackn bis Nahostasien.
Da kann TRONES nicht mit, wegen dem ich letzte Woche zum Schweden gefahren bin. Es sollte mein hölzernes Schuhkästchen ersetzen, dessen unterste Lade herabhing, dessen Oberfläche von drei Katzengenerationen zerkratzt war und dessen natürliches Braun das schwarz-weiße Gleichgewicht meines Flurs störte. Aber nach dem Frühstücksglück hatte TRONES seinen Charme eingebüßt. Eine Aufbewahrung (wie IKEA sagen würde) aus Polypropylen sollte unbehandeltes, reines Holz ersetzen? Das ging plötzlich gar nicht. 20 Prozent Recyclinganteil im Kunststoff hin oder her.
Ich fuhr nach Hause, ging zum Farbenhändler ums Eck, kaufte Holzkitt und Lasur und zerlegte das Schuhkästchen in alle seine Bretterteile. Die schliff ich, reparierte die hängende Lade, füllte die Katzenkratzer mit schwarzem Kitt und lasierte alles in schönstem Anthrazit.
Sorry, Schwede, aber deine Verführungskunst hat ihre Grenzen. Außer beim Frühstück. Nächste Woche darf ich wieder. Da hat meine Freundin M Geburtstag.
© Christine Mayr 2021-09-07
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