Vor die Wahl gestellt
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Ich genehmigte mir noch einen Espresso, bevor ich ins Parteihaus ging. Ich hatte keine Ahnung, wie dieser Wahlsonntag für uns ausgehen würde, ich war einfach nur nervös.
Im Büro war schon ein bisschen Betrieb. Die Computer waren hochgefahren, in einer halben Stunde würden sie die ersten Ergebnisse anzeigen. Von den kleinsten Gemeinden Tirols, in denen die Wahllokale um elf Uhr schließen. Gramais, Namlos, Kaisers. Keine repräsentativen Orte, Hochburgen der ÖVP, aber eine Stimme für uns könnte ein gutes Omen sein. Wir warteten, rauchten, knabberten Soletti und warteten.
„Da, Kaisers ist ausgezählt“, rief die Sekretärin und wir versammelten uns alle vor ihrem Bildschirm. „In Kaisers haben wir bei der letzten Wahl eine Stimme gehabt“, sagte ein Kollege. Wir schauten gespannt auf die Zahlen. 49 abgegebene Stimmen, 43 für die ÖVP und - „das gibt’s doch nicht! Drei für uns! In Kaisers haben wir uns verdreifacht! Wenn das kein gutes Omen ist!“
Nach eins trudelten wieder ein paar Ergebnisse herein. Ich saß vor meinem Bildschirm und hoffte, dass sich das Wunder von Kaisers wiederholte. Das tat es nicht. Absam: minus 11 Prozentpunkte. Fließ: minus 21. Mein Gott, Fließ, Absam! Wo wir Bürgermeister haben! Imst: minus 14, Jenbach minus 17, Kundl minus 10. Alles Bürgermeistergemeinden. Wenn es da schon so düster ausschaut, dann gute Nacht. Lienz mit seinem Dreier hinter dem Minus war fast schon erfreulich.
„Mein Gott, das ist ja echt arg. Was haben wir denn da falsch gemacht?“
„WIR haben gar nichts falsch gemacht.“
„Ich hab‘ ja immer gesagt, dass die Plakate scheiße sind.“
„Die Plakate sind nicht schuld.“
Alle redeten durcheinander.
„Innsbruck ist noch nicht ausgezählt.“
„Innsbruck wird uns jetzt auch nicht mehr retten.“
„Dass die ÖVP so gut ist. Hätte ich mir nicht erwartet.“
„Hat auch von den Umfragen her nicht danach ausgesehen.“
„Mensch, die Umfragen … Kaffeesudleserei.“
„Na ja, sooo gut ist die ÖVP auch wieder nicht. Hat auch ein Minus vorne dran.“
„Aber eine kleine Zahl dahinter.“
„Wenigstens hat die FPÖ ihr Wahlziel nicht erreicht. Der Strache hätt‘ ja 15 Prozent haben wollen.“
„Ja, war wohl nichts. Das ist aber schon die einzige gute Nachricht heute.“
„Und die nur halb. Weil die FPÖ liegt immerhin vor den Grünen.“
„Das is mir wieder wurscht.“
„Also mir wär’s umgekehrt lieber.“
„Bist halt doch eine verkappte Grüne …“
Ein bisschen Lachen ging sich aus.
Kurz vor sieben war Innsbruck ausgezählt und unser Desaster amtlich. Gerade einmal 15 Prozent. Fünf Jahre zuvor hatten wir über fast 26 Prozent Zustimmung gejubelt. Das waren circa 40 Prozent weniger. 40 Prozent weniger Stimmen, 40 Prozent weniger Parteienförderung.
„Du weißt, was dieses Wahlergebnis bedeutet“, sagte mein Chef und schaute mich dabei nicht an. „Eine Vollzeit-Pressereferentin kann ich mir nicht mehr leisten. Also entweder übernimmst du die Geschäftsführung zur Pressearbeit dazu oder“ – ein kurzer Blick – „du musst gehen“.
© Christine Mayr 2021-09-01
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