Wenn der Südwind weht
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Komm, sagte der Vater, wenn der Südwind wehte. Der Türkenröster ist gekommen. Lass uns schauen, ob die Türken schon reif sind.
Der Acker ein paar Schritte vom Haus entfernt. Die Stängel huthoch größer als der Vater. Dicht gedrängt, ebenmäßig. Pralle Kolben mit schwarzen Bärten. Nicht der hier, sagte der Vater. Das ist der Silotürken, der ist für das Vieh. Die nächsten Stauden viele Kinderschritte weiter. Nicht so dicht gewachsen, nichts von ebenmäßig. Kaum eine so hoch wie Vaters Kinn. Der hier, der schiache? Ja, das ist der gute. Der süße. Schau. Vater brach einen Kolben ab, strich über den flaumigen Bart an der Spitze, Türkenseide sagte er. Fühl einmal. Zog die Blätter auseinander. Polentagelb die Körner. Da, steck ein. Pass auf, dass dich der Bauer nicht erwischt. Im Backofen der Großmutter noch die Hitze der Brotlaibe. Knusprig-braun lagen sie auf den Blechen. Jetzt machen wir die Türken aus, reißen die Bletschen ab. Die Bartfäden zu einem Häufchen zupfen. Die lassen wir trocken, sagte der Vater. Der Tee wird gut sein, im Winter. Die Kolben im Ofen rösten, bis das Gelb golden. Mit Butter bestreichen, Salz darauf. Darunter süß die Körner.
Der August war groß heuer. Es ist wieder soweit. Der Südwind weht. Er zaust die Büsche. Fegt heiß und stürmisch über die Felder. Beutelt den Weizen, schüttelt die Kastanien von den Bäumen. Zerrt die Wäsche von der Leine, bauscht den Mädchen die Röcke. Er ist fleißig, der Türkenröster. Der Föhn. Er lässt den Türken reifen, den gelben, den roten, den weißen. Auf dem Markt türmen sich seine Kolben hellgrün. Mais, hat die Bäuerin dazugeschrieben. Zwischen Birnen und Zwetschken, Kartoffeln und Artischocken, Vogerlsalat und Ochsentomaten. Die Kolbenbärte zittern im Wind. Der Bub freut sich schon. Wir ziehen die Blätter ab, zupfen die Seide weg, rösten die Kolben zart. Wir bestreichen sie mit Butter, bis sie tropft. Beißen in die Körner. Unter dem Salz schmecken sie nach Karamell. Der Bub leckt sich die Lippen.
Komm, sage ich, wenn der Südwind weht. Gehen wir Drachen steigen lassen. Die Äcker abgeerntet. Stoppelig. Der Drachen flattert kirchturmhoch. Ab und zu ein vergessener Maiskolben. Von der Erntemaschine ausgemacht, entblättert. Drall die Körner. Schau, sage ich. Den hat der Bauer da gelassen, für die Enten. Den nehmen wir mit. Den mögen die Enten. Lieber als Brot. Der Teich braun-grün, vergessene Ahornblätter gelb auf seiner Haut. Die Enten faul. Köpfchen in das Wasser, singt der Bub, Schwänzchen in die Höh. Er kratzt Körner vom Strunk. Die Enten kommen geschwommen. Streiten sich um die Körner.
Komm, wird der Bub sagen, wenn der Südwind weht. Komm, Opa, der Föhn ist da. Lass uns schauen, ob der Mais schon reif ist. Der Großvater wird seinen Hut aufsetzen und mit den Fingern über den seidigen Bart der Kolben streifen. Warum hast du Türken dazu gesagt, wird der Bub ihn fragen. Warum sagst du jetzt Mais dazu, wird der Großvater denken.
Foto: Jack Blueberry on Unsplash
© Christine Mayr 2022-09-04
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