skip to main content

#trauer#liebe#mitgefühl

Holocaust Gedenktag

  • 53

Was macht einen Film zu einem guten Film? Ich habe bemerkt, dass Menschen das Geschehen auf der Leinwand nach unterschiedlichen Kriterien bewerten. In einem Fall hörte ich ausschließlich nüchterne Argumente, die sich auf Beleuchtung und Technik, oder die Kameraführung bezogen.

Ich erlebe Filme so, als wäre ich im Bild, als Betrachterin, als Zaungast. Ich lache, leide, erschrecke, ich weine, hoffe und lebe mit. Ins Bild gesprungen, wie in die Straßenbilder in “Mary Poppins.” Wenn es gar zu arg wird, kann ich mir sagen:" Das ist ein Film, die Schauspieler spielen Rollen, die sie einstudiert haben, rundherum sind Filmkameras und Menschen. Der ist nicht tot, wenn er erschlagen wird. Die Szene drehen sie ein paar Mal, bis sie passt."

Das ist die Metaebene, die mich aus dem Bild herausholt, einen roten Knopf hat die Fernbedienung auch. Aus.

Gestern habe ich zum vierten Mal “Schindlers Liste” ertragen. Das erste Mal habe ich den Film im Kino, das zweite Mal von einer Viedeokassette in italienischer Sprache abgespult, das dritte Mal im Fernsehen und gestern zum vierten Mal gesehen. Erstmals aufgefallen sind mir Friedrich von Thun und Andreas Schmölzer als Nazis, bemerkt habe ich den österreichischen Akzent bei dieser Bestie Amon Göth, den Blick konnte ich von dem wunderbaren Ben Kinsley nicht losreißen, der, nach Mahatma Gandhi, in diesem Werk eine Glanzrolle spielt. Jeder Blick, Körperhaltung, Gang, Mimik, Bewegung, nehmen mein ganzes Sein in Beschlag. Aus diesem Bild kann ich nicht aussteigen, mich nicht in die rationale Distanz flüchten. Es ist nur ein Film, die sind nicht tot. Die Schauspieler nicht, aber jeder Darsteller verkörpert brillant mit aller Schaupielkunst ein Menschenleben. Die sind tot. Wieder ist Gedenktag. Jedes Jahr ist Gedenktag. Ich habe viele Dokumentationen gesehen, mich nie geschont, nie gescheut, hinzuschauen und nie angestrebt, zu vergessen, obwohl ich damals noch nicht gelebt habe.

Als ich siebzehn Jahre alt war, hat mir jemand die damals wahrscheinlich beste Aufnahme der Zauberflöte geschenkt. Deutsche Grammophon, KarlBöhm, Fritz Wunderlich und Konsorten, die unglaubliche Königin der Nacht und ich konnte mich nicht satthören. Viele weitere Inszenierungen habe ich gehört, einige haben die, wie ich glaubte, unerreichte übertroffen. Tief berührt hat mich das Marionettentheater in Salzburg, überwältigt eine Inszenierung in der Oper Zürich, die ich im Fernsehen miterlebt habe.

In der vergangenen Nacht konnte ich bis in die Morgenstunden keinen Schlaf finden und habe in mein Kissen geweint. Kann es sein, dass die vielen Inszenierungen derselben Geschichte diese verdichten? Kann es sein, dass deshalb die Details, die Gesichter, die Zwischentöne, die einzelnen Menschen ins Blickfeld rücken, dass es sich so anfühlt, als würde man jeden einzelnen Tod sterben? Ich wusste gestern nicht, ob ich durchhalten würde, denn ich habe aus tiefster Seele geweint, obwohl keine Szene neu war.

Warum?

© Elisabeth Kinigadner 2021-01-23

TUN WIR ES JETZT

Kommentare

Gehöre zu den Ersten, die die Geschichte kommentieren

Jede*r Autor*in freut sich über Feedback! Registriere dich kostenlos,
um einen Kommentar zu hinterlassen.