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#hilflosigkeit#wienimsommer#gestrandet

… Und dann hatte ich Mitleid mit der Rettung …

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… Und dann hatte ich Mitleid mit der Rettung … | story.one

Schon das normale Leben ist zum Zeitpunkt dieser Geschichte anstrengend: Wien ist seit Tagen ein Pizzaofen. All die aufgeladenen Flächen geben abends noch lange Hitze an die Umluft ab, die dafür vorsichtshalber ganz still hält; sich ja nicht rührt.

Ich bin am Weg zu einem Tanzkurs, mit Vorfreude und pünktlich. Als ich jemanden am Boden sehe. An einer Straßenecke, gerade nur mit Schulterblättern und Kopf angelehnt, sitzt oder liegt eine Frau. Eine sehr dicke Frau. Zwischen ihren Beinen sitzt oder liegt zusätzlich ihr Bauch am Gehsteig, als wäre er ein eigenes Geschöpf. Vor ihr – an einem Verkehrsschild angebunden – ein Hund, der irgendwie gerne weg will.

„Brauchen Sie Hilfe?“ Meine Frage erscheint mir selbst dumm. „No na net“ – würde man darauf auf Wienerisch antworten. Sie stöhnt. Ihr linker Arm zuckt in einer Art Tremor. Ihre Füße und Unterschenkel sind dick geschwollen, entzunden das eine, das andere verbunden. „Hilfe. Hilfe“ flüstert sie leise. Neben ihr eine kleine leere Wasserflasche aus Plastik.

„Die Frau. Die Frau macht was…“ mit diesen Worten kann ich zuerst nichts anfangen. Doch dann ruft vom gegenüberliegenden Straßeneck, wo der Schanigarten eines Gasthauses ist, jene Frau. Ob ich ein Handy habe? Ich habe es schon in der Hand und will die Rettung rufen, überlege gerade hektisch, welche Nummer die richtige ist (peinlich, oder?). Sie ruft mir „144“ über die Straße und ich tippe, gebe Straßennamen bekannt, Symptome, Beschreibungen, meine Handynummer.

Sie schicken den nächsten freien Wagen, verspricht mir der Mann an Telefon. Während ich telefonierte, innerlich aufgewühlt, weil mir diese gestrandete Frau so leid tut, die da liegt, schmerzverzerrt und festgeklebt, wie ein gestrandeter Wal, kommt die Frau von der Vis-à-vis-Seite über die Straße. Es ist ihr Hund, den sie auch gleich losbindet. Sie war auf dem Weg um mit ihm eine Runde zu gehen, als sie – kurz vor mir – die Frau am Gehsteig fand. Jedoch – weil „ja nur kurz mit dem Hund raus“ das Handy zu Hause liegen hatte lassen. Und durch mein Eintreffen blieb ihr erspart, die Gäste im Schanigarten weiter um ein Handy zu bitten bzw. darum, dass jemand diesen Notruf tätigt.

Während wir nun zu viert auf die Rettung warten, beginnt die Frau am Boden mit Fragen. Wie wir heißen? Wie der Hund heißt. „Buddy“. Und sie kommt in eine anklagende Erzähllaune, zusammenhanglose Sätze über eine Kirchengemeinde und ein Spital. Sie wechselt ihre Stimme und Körpersprache, die man scheinbar auch im Liegen am Gehsteig hat, je nachdem, ob sie gerade anklagend oder klagend ist.

Blaues Licht kommt näher. Die Hundefrau und ich atmen auf. Der Hund, der empathische Buddy, auch. Gleich können wir drei unsere zufällige Verantwortung an die Rettung abgeben. Zwei junge, hochaufgeschossene Männer entsteigen dem Krankenwagen. „Frau (Er wusste ihren Familiennamen) … “ resignierte und müde Stimme – „…heute steigen sie aber selbst ein, seitlich, ja? Wir haben echt einen anstrengenden Tag heute…“

© Eva Hradil 2022-07-25

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