Betrachtete Kunstbetrachtung
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Der schönste Anblick für eine/n KünstlerIn in der eigenen Ausstellung ist ein Gast, der vor einer Arbeit steht, sie betrachtet und leise mit dem Kopf nickt. Zustimmung, die bis in den Körper fährt und sogar die Worte zurücklässt.
Ich betrachte gerne die Menschen, während sie meine Arbeit betrachten. Weil der Körper zeigt, ob ihnen gefällt, was sie sehen. Mit den Worten will man gerne positiv bleiben, sobald man den schaffenden Menschen um sich weiß. Und das ist auch gut so.
Nicht einmal KollegInnen zerpflücken die Arbeiten von KollegInnen während deren Ausstellung in Gegenwart der Künstlerin oder des Künstlers. Das machen sie dann eventuell später ohne sie oder ihn. Und diskutieren über das Gesehene. Wie Sportfans nach einem Match gibt es dann oft pro und contra und vielleicht sogar einen Schiedsrichter.
Wie man richtig gut Kunst betrachtet, hatte ich vor vielen Jahren bei einer Lehrerin und späteren Freundin erlebt: Rebecca LittleJohn. Ich war ihre Schülerin in einer Sommerakademie. Da gibt es dann meist einen Teil angehender KünstlerInnen und einen Teil HobbykünstlerInnen. Und bei beiden Gruppen richtig gute Arbeiten oder auch richtig schlech…, äh unfertige.
So wie Rebecca damals die Bilder besprach, die im Kurs entstanden sind, vor versammelter Klasse, davon habe ich jede Menge gelernt. Angenommen ein Bild war wirklich unausgegoren, dann hatte sie jene Stelle gefunden, wo alles stimmte. Um bei einem Vergleich zu bleiben, sie lobte quasi den Staubzucker und ließ den Kuchen unerwähnt. Ein kleines Detail im Bild, wo für sie die Malerei perfekt war. Dieses Lob war ehrlich und kam auch so rüber. Jemand wurde vor der Klasse – und vor sich selbst – nicht bloßgestellt. Und die Konsequenz daraus, sich auszurechnen, wenn sie gerade das lobt und der Rest, der so anders ist, unerwähnt bleibt, dass somit vielleicht 90 bis 95 Prozent vom Bild „unfertig“ sind, diese Hochrechnung konnte man selbst anstellen.
Es ist absolut legitim, wenn einem ein Kunstwerk nicht gefällt. Und man dürfte das auch der/dem KünstlerIn sagen. Aber besser nur dann, wenn man danach auf eine andere Arbeit desselben Menschen zeigt, welche einem ausnehmend gut gefällt. Sonst ist es einfacher, man sagt einfach nichts. So halte ich selbst es. Und wenn das nicht geht, weil mich eine gezielte Frage in die Enge treibt, dann versuche ich mich in Rebeccas Finden der guten Stellen. Was ja wirklich spannend ist.
Es ist dann manchmal wie ein Suchspiel: wo ist der Schatz vergraben? Und das lässt uns auch vor Arbeiten intensiv innehalten, die uns so gar nicht gefallen oder zusagen. Entweder dort eben die Stelle zu finden, die für uns passt, oder um zu ergründen, woran es denn konkret liegt, dass wir so eine starke Ablehnung erfahren. Daraus lässt sich meist viel lernen.
Ich lerne sehr gerne dazu. Am liebsten ist es mir ja, wenn ich selbst auf etwas komme. Ab dann kann ich etwas ändern und anders machen. Oder auch nur anders denken. Ich liebe solche Aha-Momente.
© Eva Hradil 2021-09-22
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