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#experiment#spiegelbild#kunst

Das Kunstwerk als Spiegel

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Das Kunstwerk als Spiegel | story.one

Mich fasziniert das Thema immer wieder. Als Kunstbetrachterin und als jemand, die selbst zur Adressatin von Fragen werden kann. (Und ich habe über dieses Thema auch ein kurzes Video produziert, das man auf YouTube findet: „Art is a Mirror“.)

Jedes Kunstwerk ist eine Art doppelter Spiegel. Es spiegelt einerseits ganz klar die Person, die es erschaffen hat. Quasi ist jedes Kunstwerk eine Form von Selbstportrait. „Zeige mir, wie Du wohnst, und ich sage Dir, wer Du bist.“ Dieser Satz von Christian Morgenstern passt natürlich überall. „Zeige mir, was Du für Kleidung trägst … “ „Zeige mir, was und wie Du kochst ... “ Zeige mir, wie Du arbeitest … “

Und jedes Kunstwerk ist andererseits ein Spiegel fĂĽr die Person, die es betrachtet. Weil man nur jene Anteile sieht oder auch hinein erfindet, die man selbst hat.

Während meines Studiums an der Universität für Angewandte Kunst gab es eine Zeit der Unsicherheit, wie es immer wieder im Leben und im beruflichen Schaffen vorkommt, wo man die nächsten Weichenstellungen setzen wird müssen. Als mögliche Lösung, um aus dieser Frage mit einer Antwort hervorzutauchen, machte ich ein Experiment. Ich wählte zehn meiner Bilder aus und bat sechs StudienkollegInnen, mir ehrlich zu sagen, was sie von den Arbeiten halten. Welche sie am besten fänden und welche am unfertigsten. Einzeln. Also z.B.: Liebe Luise, ich stecke gerade fest. Und damit ich dazulerne, möchte ich Dich bitten, mir Deine Meinung zu diesen Bildern zu sagen. Und zwar wirklich ganz ehrlich, ohne Skrupel und Scheu! Welches der Bilder findest Du gelungen - und warum? Und welches empfindest Du als „schlecht“ - und warum?

Luise, die selbst ganz ruhige Bilder malt, Ton in Ton, harmonisch und leise, fand das meiner Bilder am besten, welches ihrem eigenen Malstil am ähnlichsten kam. Joachim, der gestisch malt, in seiner eigenen, starken Farbigkeit, dem gefiel das meiner Bilder am besten, indem die Malweise offener war. Mit weniger Grenzen zwischen den Flächen. Usw.

Im Kreise meiner Bilder wählten die KollegInnenfreundInnen jene aus, in welchen sie sich am ehesten „zu Hause“ fühlten. Diese Erkenntnis brachte mir damals gleichzeitig Entspanntheit und Selbstverantwortung. Jede Kunstkritik trägt einen erheblichen Anteil der Person in sich, die sie gibt, im negativen und im positiven Sinn.

Und meine Behauptung ist nun, das passiert auch dann, wenn wir selbst keine KünstlerInnen sind. Wir mögen die Werke, in welchen etwas von uns widergespiegelt wird. Vom Seelenleben, den Farbvorlieben, den Motivauswahlen, dem Kontrastreichtum, von der Stimmung, der Lichtbeschaffenheit, der Materialumgangsintensität.

Was bei dem Experiment noch zu Tage kam, war, dass es Bilder gab, die alle besprachen, die einen als „die besten“, die anderen als „die unfertigsten“. Und dass es Bilder gab, die in allen Gesprächen kaum Beachtung fanden – ich glaube, das waren die eigentlich unfertigsten.

© Eva Hradil 2021-09-13

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