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#umdenken#keineangst#musikverbindet

Der Bauer in der Kunst

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Der Bauer in der Kunst | story.one

Vor vielen Jahren – es war 2004 – initiierte ich ein Symposium für bildende Kunst inmitten landwirtschaftlicher Flächen. Ein Landwirt stellte dafür seine Halle zur Verfügung, in der normalerweise Erdäpfeln/Kartoffeln gelagert sind, da dieser Raum knapp vor der neuen Ernte leer ist.

„Flächen bewirtschaften“ nannte ich das Symposium. Ich selbst komme ursprünglich auch aus einem Bauernhaus und war als Kind und Jugendliche dabei, wenn große Flächen verändert wurden. Ein Feld abernten ist – aus der Höhe oder inhaltlichem Abstand betrachtet – ein gewissermaßen „Umstreichen“ der Farben. Zum Beispiel von getreidefarben auf erdfarben oder von fast uni zu gestreift, wenn die Maschine das Erntegut in Bahnen zurücklässt.

Konzept des Symposiums war, Großflächiges zu erarbeiten, mindestens 2 x 2 Meter groß sollten die Arbeiten werden. Eingeladen hatte ich KünstlerInnen, die normalerweise klein- oder mittelformatig arbeiten. Werden sie die gewohnte Technik beibehalten und sie nun auf der viel größeren Fläche anwenden? Oder breitere Pinsel nehmen? Eine ganz andere Technik wählen als normal? Sich bzw. seine Arbeitsweise für diese drei Wochen neu zu erfinden, war jedenfalls somit mit ein Thema.

Gegen Ende des Symposiums – einige arbeiteten besonders emsig, andere hatten bereits abgeschlossen, die Hallentore standen offen – kam forschen Schrittes, fast machomäßig, ein „gstandenes Mannsbild“ in die Halle. Ein Landwirt aus der Nachbarschaft, geübt, landwirtschaftliche Hallen zu betreten. Umso tiefer er in den 600 m2 großen Raum vordrang, desto unsicherer, zögerlicher wurden seine Schritte. Um dann vor einer großen abstrakten Tuschearbeit auf Papier, die bereits für die Schlussausstellung gehängt war, zum Stehen zu kommen. Er stand da, als hätte ihm jemand die Handbremse gezogen.

Was ist das? Fast unwirsch klang seine Frage und sein Kopf deutete auf die abstrakte Arbeit. Was soll das? Er war aufgebracht, fast böse, wahrscheinlich weil er seine Verunsicherung spürte, und er war verunsichert, weil ihn offensichtlich etwas in den Bann zog, das er jedoch nicht zu fassen bekam.

Der Erschaffer der Tuschearbeit war abwesend und so ging ich zu dem Mann. Es war mucksmäuschenstill in der Halle.

Ich glaube, es ist ähnlich wie in der Musik, meinte ich, während er den Blick nicht vom Bild ließ. Da müssen wir auch nicht den Titel kennen, nicht den Text verstehen, müssen nicht wissen, woran der Komponist gedacht hatte, als er die Melodie notierte. Und dennoch können wir Musik gleich beim ersten Hören lieben. Uns mit ihr verbinden.

(Von Musik verlangen wir nicht, sie inhaltlich zu verstehen zu müssen/sollen/wollen, bei bildender Kunst haben wir Angst davor, nicht „den richtigen Inhalt“ zu kennen. Warum eigentlich?)

Dieser Vergleich zeigte jedenfalls Wirkung – das war richtig gut zu sehen. Verunsicherung war durch Überraschung oder eine Art Erleichterung ersetzt worden. Es hatte sich ihm eine neue Blickweise installiert.

© Eva Hradil 2021-08-31

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