Die Bäuerin in der Kunst
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Ja, ich bin ein Bauernmädel. Aufgewachsen in einer Landwirtschaft mit Feldbewirtschaftung. Zuckerrüben, Kukuruz (Mais), Weizen und - solange wir noch Tiere hatten – auch Klee für das Heu. Ich habe Strohpinkel geschlichtet, Beregnungsrohre umgetragen und Jausen aufs Feld gebracht.
Diese „Vergangenheit“ ist in meinem Erfahrungsdepot eingespeichert, woraus ich an meine Arbeit weitergebe. Viele meiner Bilder – ich bin bildende Künstlerin mit Schwerpunkt Malerei – haben einen geradlinigen Horizont, schnurgerade – wie er im Marchfeld, einem flachen Stück Land östlich von Wien, halt so ist. Bei uns gibt es – jedenfalls, sobald man am Feld ist, immer 180° Himmel. Himmel und Erde teilen sich quasi den Ausblick fair auf.
Ich selbst hatte diesen Ärger, den ich im Kapitel davor beschrieb, mit Picasso. Damals war ich noch lange nicht bei der Malerei gelandet; war Allerbestenfalls Kunstbetrachterin. Und speziell die Portraits von Picasso regten mich auf. Warum kann er das nicht „g'scheit“ malen?
Das Aha-Erlebnis brachte ein Katalog, in dem ein Gemälde abgebildet war, das er mit 14 Jahren gemalt hatte. „Erstkommunion“ heißt das Bild. Absolut fotorealistisch gemalt mit seiner Schwester und seinem Vater als Modelle. „Bist du deppert! So konnte er schon malen, als er noch so jung war?" Mir dämmerte, dass sich ein so reger Geist gelangweilt hätte, hätte er fortan sein Leben lang in diesem Stil weiter gemalt. Keine Entwicklung wäre möglich gewesen, weil er ja in dieser realistischen Malweise schon als Jugendlicher Meister war. Weshalb er in die genau andere Richtung gehen musste. Er löste Flächen auf, vereinfachte Formen, verschob Blickachsen und veränderte Farben. Kreierte eine neue Welt, statt die vorhandene nur immer und immer wieder abzumalen.
Ich kann die Verunsicherung, die Menschen vor Kunstwerken haben, verstehen, weil ich mich selbst körperlich an sie erinnern kann. Und gleichzeitig möchte ich sie den Menschen nehmen, seitdem ich durch meine Arbeit erlebe, wie oft diese „Angst“ etwas falsch zu interpretieren, die Menschen vor einer tieferen Betrachtung abhält.
BetrachterInnen spüren eine Faszination oder eine Anziehungskraft oder einen Dialog mit einer Arbeit und können sich den Grund dafür nicht erklären. Als ich mich über Picassos Portraits „geärgert“ hatte, war das, glaube ich, genau wegen der Faszination, die da gleich neben dem Ärger geblüht hatte. „Warum traut sich jemand so absichtlich „falsch“ zu malen?“ (Und hat noch dazu Erfolg damit.)
So wie KünstlerInnen Kinder um die Unbekümmertheit beneiden und diese während des Arbeitsprozesses nachahmen wollen, so wäre es auch gut, Kunst zu betrachten – wie ein Kind. Sich eigene Erklärungen und Geschichten dazu auszudenken. Und erst später zu fragen oder nachzulesen – mit Neugierde und Interesse statt mit Verunsicherung. Oder es auch einfach bei der eigenen Interpretation zu belassen. Als Kind muss man nicht alles wissen. Als Erwachsener auch nicht.
© Eva Hradil 2021-09-05
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