Die Jelinek ist da.
- 85

Das war noch lange vor Covid, Sars, Corona und Lockdowns, weil Kaffeehäuser waren geöffnet. Es ist noch viel länger her, wirkliche viele Jahre zurück. Die Handlung spielt in Wien in einem Kaffeehaus mit hohen, hellen Räumen, einer Kuchen- und Tortenvitrine, viele Zeitungen und Zeitschriften, die warten durchgeblättert zu werden.
In diesem wunderbaren Geräusche-Konglomerat aus Gesprächsgemurmel (ob es nicht sogar noch Prä-Mobiltelefonzeiten waren, und nicht nur Prä-Covid), Lachen, Besteck an Porzellan-Geräusch, Kaffeemaschinengeschnatter und Küchengerumpel – es ist das Geräusch, das man sich mittlerweile im Internet herunterladen kann, damit man auch zu Hause konzentriert arbeiten kann – in dieser Geräuschkulisse arbeitete ich konzentriert.
So wollen wir mal annehmen. Dann schrieb ich gerade einer meiner wunderbaren What-to-do-Listen, wie ich das vor Projekten mache. Oder ich schrieb einen Brief, wie ich das früher tatsächlich noch tat. Oder ich schrieb einen Projekttext. Oder entwarf sonst einen Plan am Papier. Oder wir wollen ehrlich sein, es könnte schon auch sein, dass ich darauf konzentriert war, Informationen aus einer Zeitschrift zu generieren. Jedenfalls war ich sehr konzentriert. Ich war ein aufgelöster Bestandteil dieser Welt. Meine Außengrenze war fließend ins Kaffeehausgeschehen verwoben.
Bis mich etwas aus dieser Konzentriertheit, dieser Aufgelöstheit entriss. Es war auch ein Gemurmel, aber leiser als das aufaddierte vieler Menschen, welches dann wieder durch die Anzahl dividiert wird, sodass eben ein Gemurmel rauskommt. Es war ein Satz, drei oder vielmal der gleiche Satz, den sich zwei Menschen zuraunen, und der, weil unauffälliger und leiser gesprochen, und auch noch einige Male wiederholt, sich auffällig in mein Bewusstsein drängte.
Die Jelinek ist da.
Da habe ich meinen Kopf gehoben, oder sagen wir meinen Blick und sehe sie am Nachbartisch sitzen. Ich hatte sie nicht kommen sehen, es waren die Worte, die sie da hingezaubert hatten. Man muss sagen, das war auch noch lange vor ihrem Nobelpreis, aber dennoch war sie eine bekannte Persönlichkeit. Eine Marke. Aussehen und Name unlösbar miteinander verbunden.
Die Sätze murmelten Kellner einander zu und Menschen von Nachbarstischen sich gegenseitig. Aja, die Jelinek ist da. Später kam eine zweite Person zu ihr am Tisch und die beiden sprachen miteinander.
OARG. Dachte ich mir. Diese Frau kann gar nie, oder jedenfalls fast gar nie anonym sein, sobald sie vor ihre Haustür geht. Mit jemandem sitzen und reden und lachen. Da heißt es immer die Jelinek ist da. Selbst im Supermarkt, stelle ich mir vor.
Es war der Tag, an welchem ich mir vornahm, dass ich beruflich meinen Erfolg so steuern möchte, dass ich weiterhin anonym ins Kaffeehaus gehen kann. Was mir bisher wunderbar gelungen ist! (Und im Moment ohnehin obsolet ist, weil in den Kaffeehäusern nur die Zeit murmelt und man dem Staub beim geboren werden zuhören kann.)
© Eva Hradil 2021-04-03
Kommentare
Jede*r Autor*in freut sich über Feedback! Registriere dich kostenlos,
um einen Kommentar zu hinterlassen.