Die Pausen
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Schon im wirklichen Leben halte ich Pausen für unbedingt notwendig. Während des Nachdenkens über eine Arbeit bewegt sich dort etwas, wo ich das Denken kurz loslasse. Beim Arbeiten im Garten oder beim Wandern durch die Natur sind es die innehaltenden Momente, in welchen man die Umgebung bewußt(er) wahrnimmt. Das Innehalten ist gewissermaßen förderlich, um etwas zu halten, zu fassen zu bekommen.
Der Tango Argentino hat auffällig viel mehr Pausen, wenn man ihn mit herkömmlichen Tanzmusiken vergleicht. Bei anderen Tanzmusikrichtungen kann man sich darauf verlassen, dass die Musik in einem verlässlichen Takt durchplätschert oder durchpulsiert.
Es ist so wunderbar befriedigend, wenn man im Tango auch die Pausen tanzt. Nicht, indem man im Takt einfach weitertanzt, obwohl die Melodie gerade pausiert, sondern wenn auch das Tanzpaar mit der Musik im Einklang kurz zur scheinbaren Ruhe kommt, gemeinsam – zu dritt. Dabei die Bereitschaft, die Spannung jedoch nicht loslässt, sondern im Betriebsmodus bleibt, den Betriebsmodus wach hält – jedoch ohne sichtbaren Betrieb. Während der Pause in der Musik bleibt die Umarmung aktiv, es bleibt die Spannung, die Verbindung – es ruht einzig die Bewegung, oder diese zieht sich ganz, ganz klein in eine Verzierung eines Spielbeines zurück, weil auch während der Musikpause noch ein Instrument nachklingt.
Und – je nach Musik – geht es danach langsam weiter, oder aber genau aus dieser Ruhe formieren sich dann besonders explosiv die nächsten Schritte. Weshalb möglicherweise genau deshalb der Komponist eine Pause vorangestellt hat, um den Kontrast noch hörbarer zu machen. Und wenn diese Musik eben getanzt wird, ihn auch sichtbarer werden zu lassen.
Wenn ich in den anderen Pausen, in welchen ich gerade nicht tanze, anderen beim Tanzen zusehe, liebe ich auch genau dieses gemeinsame Innehalten von zwei Menschen. Ich glaube, während der Pause wird deren Verbindung noch spürbarer als in der Bewegung. Wie ein Fußball, der in Bewegung ist, leichter mal seine Richtung ändern kann, wenn er von einem Körperteil oder einer Bande abgelenkt wird. Aber nur von Ballprofis auch mitten im Bewegungsfluss elegant gestoppt werden kann, um ihn am Platz zu halten, ohne die Verbindung zu ihm zu verlieren, bis der nötige Anspielpartner bereit ist.
Im Tango ist dieser Anspielpartner die Musik. Bis sie wieder bereit ist, bleibt das Geschehen am Platz, friert dabei nicht ein zu etwas Starrem, sondern atmet gemeinsam aus, wird so klein, dass es als Nicht-Geschehen wahrgenommen werden wird. Ist aber ein Innehalten; etwas, das nach innen geht – und in dem sich die Konzentration bewegt.
Man könnte es auch – weniger geschwurbelt – so sagen: Da man im Tango nicht einzig dem Rhythmus folgt, sondern eher der Melodie, ruht der Tanz, wenn die Melodie eine Pause macht. Am Notenblatt wären da zwar weiterhin die Takte notiert, aber ohne Noten darauf.
© Eva Hradil 2021-11-06
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