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#zuhören#garten#vögel

Die Weide summt

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Die Weide summt | story.one

Eine scharf abgegrenzte Soundcloud der Natur: Die Weide der Nachbarn summt über den Gartenzaun, wenn ich vor die Haustüre trete. Mit großer Wahrscheinlichkeit auch davor und danach. Es ist der erste Arbeitsausflug der Bienen heuer in dieser Betriebsamkeit. Im Spätherbst summte der alte Efeu, der langsam aber stetig und scheinbar unaufhaltsam den noch älteren Schupfen umbringt, gewissermaßen ein schöner Mörder.

Wenn später im Frühling die Obstbäume blühen, hört man sie natürlich auch, die Bienen. Aber dann ist auch der Rest der Vielflieger so emsig mit Gurren, Zirpen, Trällern, Flöten, Jauchzen und Revier verteidigen beschäftigt, dass das kontrastschwächere Bienengesummmmmmmse weniger auffällt.

Ich liebe die Geräusche im Garten. Vogelgezwitscher im April ist ein anderes als im Mai oder im August. Selbst im Winter hört man sie vereinzelt, Meisen reden fast so viel wie ich selbst, und die Amsel singt dann zwar nicht oder jedenfalls weniger vom höchsten Zweig des Reviers, aber schimpfen erledigt sie ganzjährig oder sie unterhält sich leise mit ihrem Lebensabschnittspartner, während sie beide auf die Apfelhälften einhacken, die ich ihnen in den Schnee werfe.

Man hört den Wind in Blättern rauschen, wenn es Sommer ist, und in den trockenen Stauden im Winter rascheln, weil ich diese erst im Frühling schneide. „Sauber“ mache ich nicht im Herbst, wenn sie beginnen zu vertrocknen, sondern erst, wenn darunter schon das Neue kommt. Bis dahin können Samenstände als Nahrung geholt werden, jemand sitzt am oberen Ende dieses biegsamen Halmes und balanciert seine Mahlzeit aus.

Eine einzelne Hummel brummt sehr laut und dennoch nicht bedrohlich. Selbst von Hornissen lasse ich mich umfliegen, wobei die Einzahl derselben gemeint ist. Es ist meist eine, die entlang der Hauswand unter dem Terrassendach etwas sucht. Dass ich auf der Bank sitze, interessiert sie nicht. Also tue ich auch weiter, womit ich beschäftigt bin.

Was sehr selten ist, aber mich dann regelmäßig so rührt, dass ich heule (Ja, ich bin sehr nahe am Wasser gebaut.), ist, wenn ich im Herbst oder im Frühling die Wildgänse fliegen höre. Mit welcher Bestimmtheit sie ihre Bestimmung kennen. Mit welcher Kraft sie ihren notwendigen Wegen nachgehen, nachfliegen. Ganz selten sehe ich sie dabei und diese V-Formation, die sie im Flug bilden. Weil meist ist es dann zu dunkel. Es ist deren Geräusch, das mir den emotionalen Reißverschluss aufreißt, und mich mit roten Augen zurücklässt. Warum mir das Geräusch so tief geht, das kann ich nicht einmal erahnen.

Geräusche machen Gefühle. Seitdem ich mich ein wenig mit Videoschnitt beschäftige, achte ich noch mehr darauf. Und setze auch Tonaufnahmen, die ich im Garten oder im Wald gemacht habe, bewusst in meinen seltsamen Tutorials oder Dokumentationen ein. Manchmal ist es auch das abrupte Ende eines Geräusches – im Garten, im Film, in der Musik – das uns aufhorchen lässt.

© Eva Hradil 2021-04-17

Gartengeflüster

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