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#tanzen#gemeinsamkeit#verantwortungsbewusstsein

Elf bis vierzehn Minuten

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Elf bis vierzehn Minuten | story.one

Beim Tango tanzt man immer eine abgegrenzte Sequenz mit einem Partner. Man nennt diese Tanda. Sie besteht aus drei oder vier Musikstücken, die eine ähnliche Stimmung haben, zumeist vom gleichen Komponisten oder Interpreten. Da diese ungefähr drei bis dreieinhalb Minuten lang sind, ergeben sie in Summe die oben genannte Minutenanzahl, die man mit einem Tanzpartner verbringt.

Als Grenze davor und danach gibt es Musikstücke aus anderen Musikrichtungen - Queen, Salsa, Sinatra, Boogie, … - diese Einheiten heißen Cortina, das spanische Wort für Vorhang oder Gardine. Diese kurzen Musikstücke teilen einen Tangoabend also in kleine Häppchen. Währenddessen somit die eigentliche Tanzmusik für einige Minuten ruht, leert sich die Tanzfläche und an deren Rändern beginnen sich die Menschen umzusehen, wer alles in Blickweite steht.

Weil, sobald die nächste Tanda beginnt, es also hörbar wird, in welcher Stimmung oder Style sie sein wird, beginnen die Aufforderungen zum Tanz.

Wenn sich zwei einig sind, dann betreten sie die Tanzfläche – am besten an einer Ecke derselben. Und beide (oder jedenfalls der Mensch, der führt, traditionell der Mann) achten darauf, dass genug Platz im Tanzkreis, der Ronda, ist, um sich einzufügen. Oder gegebenenfalls beim Leader des nächstkommenden Tanzpaares durch einfachen Blickkontakt anzufragen, ob man hineindarf. Meist reagiert er mit Zustimmung, nickt mit den Augen und tanzt mit seinem Follower so lange am Platz, bis das neue Paar sich ins Gefüge integriert hat.

Der Herr bietet die Umarmung an, und die Dame schlüpft hinein. Wie eng, das kann sie somit (mit)bestimmen. Dann – je nach Temperament und Gewohnheit – stürmen die einen schon mit den ersten Schritten davon, andere intensivieren die Umarmung noch, schließen alle Systeme kurz, um schon völlig vereint diese ersten Schritte zu machen.

Oft ahnt man schon an der Art, wie jemand die Tanzfläche betritt, wie fortgeschritten und achtsam dieser Mensch tanzt. (Oder möchte die Sache dann lieber rückgängig machen, bevor man überhaupt begonnen hat, weil jemand, wie es oft Audi-, BMW- und SUV-Fahrer auf der Straße machen, ohne Blinker, sich rücksichtslos in den Verkehrsfluss drängt.)

Für elf bis vierzehn Minuten nämlich werden all die tanzenden Menschen auf der Tanzfläche, der Pista, zu einem gemeinsamen Organismus. Sie pulsieren – jedes Paar für sich – innerhalb der gleichen Musik. Wie Anemonen im Wasser, wo jedes Tentakel sich unabhängig bewegen kann, aber das Gefüge nicht stört, so ist eine Ronda die Summe der Tanzenden, zusätzlich mit dieser Kreisbewegung in Tanzrichtung. Man tanzt nicht nur mit einem Partner für diesen Zeitraum, sondern mit all den anderen Paaren, Menschen.

Menschen, die darauf nicht achten (wollen), achten vielleicht auch gar nicht auf den eigenen Tanzpartner. Sie tanzen nur mit sich selbst, brauchen den und die anderen nur, um da mitspielen zu dürfen. Oder um nicht umzufallen. Der Balance widme ich auch ein Kapitel.

© Eva Hradil 2021-10-11

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