Geheimloge.
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Tatsächlich bekam ich vor acht oder neun Jahren die Einladung Teil einer Geheimloge zu werden. So einer Gruppe von Menschen, die sich gegenseitig austauschen, voneinander lernen und einander helfen. Aber wohl auch einem gewissen Gruppenzwang unterliegen.
Oder sagen wir, ich bekam die Einladung, an deren wöchentlichen Treffen teilzunehmen, um später vielleicht Teil davon werden zu können. Wäre ich beruflich viel erfolgreicher, wäre ich diesem Weg nachgegangen, dieser Einladung gefolgt?
Donnerstag? Ihr trefft Euch jeweils Donnerstag? Tut mir leid, da kann ich nicht.
Damals war ich noch relativ frisch in der Tangoszene, jedoch vom allerersten Abend an süchtig. Richtig süchtig. Süchtig, süchtig, süchtig. Mit all den Erscheinungen, die dazugehören. Und der Abend, an welchem ich mit Sicherheit und fix dieser Sucht nachging, war Donnerstag.
Über die Jahre fiel mir das immer wieder mal ein. Weil Tango ist – glaube ich – auch eine Art Geheimloge. Freundschaften, die dort entstehen, bereichern sukzessive auch den Alltag. Braucht man Rat oder Input von Rechtsanwalt/wältin, Neurologen/in oder Architekt/in, geht man fast automatisch zu jemand aus dieser Gruppe.
Außenstehenden davon zu erzählen, verbietet einem zwar keine Regel, aber die Vernunft, weil Außenstehende einfach nicht verstehen. Das kapiert man bald.
Das Geniale ist, dass es diese Geheimloge weltweit gibt. Mit demselben Kodex. Ohne die Sprache eines Landes sprechen können zu müssen, kann man so einer Gruppe ausgesprochen ansprechend teilhaben. Teil davon sein. Die Sprache des Gesprächsaufbaues und dann der Dialog selbst gestalten sich ausschließlich über Körpersignale.
Wollen wir uns unterhalten, fragen sich die Augen. Ja, bestätigen sie es sich und der Kopf unterstützt es mit einem Nicken, vielleicht der Mund mit einem Lächeln. Dann kommt der eine zur anderen, holt sie vom Platz ab und führt sie in die Arena, wo diese zwei Menschen für ungefähr zwölf Minuten lang einen Dialog miteinander führen werden. Der wie Tanz aussieht und es natürlich auch ist. In Verbindung miteinander und in Verbindung zu den anderen zwölf-Minuten-langen Paaren und alle in Verbindung mit der Musik, die das jeweilige Gesprächsthema vorgibt.
Die Umarmung, in die sie dann schlüpfen, ist die gemeinsame Sprache für diese Zeit, die Umarmung ist die Sprache und in gleicher Weise die Übersetzung.
Was dann geschieht, hat die Kontemplation einer Zen-Sitzung: Es paaren sich absolute und 200%ige Konzentration mit der gleichen Intensität von Loslassen.
Es hat so eine Intensität von JETZT, die ich kaum aus anderen Bereichen des Lebens kenne, und wenn, dann dort sehr kurz, wie aufblitzend. Im Tango kann sie im besten Fall alle zwölf Minuten lang pulsieren.
Erfolgreiche Karrierefrau werde ich einfach im nächsten Leben. Vielleicht.In diesem bleibe ich Hedonistin. Tangosüchtig. Hoffentlich geht es bald wieder…
© Eva Hradil 2021-03-16
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