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Ich lebe mit einem Mörder zusammen

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Ich lebe mit einem Mörder zusammen | story.one

Zuerst muss ich klarstellen, dass es keine Entscheidung von mir war. Sondern, dass es sich so ergeben hat. Dennoch werde ich nun zur scheinbaren Mittäterin, jedenfalls gefühlsmäßig.

Von Anfang an: Ich kam gestern von einem schönen Spaziergang mit einer Freundin zurück. Okay: wir waren etwas trinken und eine Klitzekleinigkeit essen, mit schönem Ausblick, und sind dorthin zu Fuß hin und retour gegangen. Ein ziemlich gutes Ritual, sozusagen.

Zurück ins Haus gekommen musste ich IHN gleich bedienen. Hunger hat der Mann. Ich füge mich sofort, das Gemaule wollte ich mir nicht anhören. Er bekommt sein Abendessen. Auf zwei Etappen, weil er sonst nur die Sauce wegschleckt, und das eigentliche Essen am Teller lässt.

Der gute Mann hat nämlich keine Zähne mehr. Angeblich war er auf seine eigenen Zähne allergisch. Das jedenfalls sagte mir seine Originalfrau, ich bin ja nur eine der Nebenfrauen. Bin ich die halbe Woche im Haus am Land, dann beehrt er mich mit seiner Anwesenheit, mit seinem Hunger- nach Nahrung und nach Liebe, mit seinen Geschichten, die ich mir anhören muss. Und den Garten nutzt er auch, wenn ich die andere Hälfte der Woche in der Stadt bin. Er weiß, wie er sich Zugang verschafft. Kriminelle Energie durch und durch.

Sein spätes Abendessen – von mir serviert – nahm er gestern im Freien ein. Ein lauer Sommerabend. Es war schon dunkel. Ich war im Wohnzimmer, hatte nur das nötigste Licht aufgedreht, weil die Terrassentüre offen war, damit sich die kaum vorhandene Abendkühle ins Haus vorwagen konnte.

Später höre ich – fast wie ein Befehl – die Aufforderung ihm die Fliegengittertüre aufzumachen. Monsieur kam aus dem Garten. Dienst-beflissen (oder ruhe-suchend) öffnete ich die Türe. Da sah ich ihn und sein Opfer. Wie weit fortgeschritten sein Mord zu dem Zeitpunkt schon war, konnte ich nicht ausnehmen.

Eine Taube. Am Land gehörten Tauben zum geschätzten oder jedenfalls tolerierten Teil der Nachbarschaft. Er hatte eine Nachbarin in seinem zahnlosen Maul.

Schon einmal musste ich zusehen, damals untertags und aus dem Küchenfenster, wie er eine Meise auf den Gartenboden fixierte, und gleichzeitig mit dem zahnlosen Kiefer das arme Tier malmend traktierte. Zu spät für Hilfe. Und Minuten später sah ich, wie er Därme – oder was anderes Langes und Dünnes– aus dem kleinen Körper gelöste hatte, also trotz Zahnlosigkeit durch das Gefieder und Haut zu diesen weichen Teilen gelangt war, und sie hochzog, um sie zu essen.

Gestern bekam ich einen hysterischen Anfall, brüllte ihn an, er solle sie loslassen. Verständnisloser und verstörter Blick, aber kein Erbarmen. Er packte sie nur anders, zu dem Zeitpunkt lebte sie wahrscheinlich noch, und flüchtete in den Garten. Ich sah aus der Ferne grausames Gerangel, was mir wieder jede Hoffnung nahm, dem Opfer rechtzeitig zu Hilfe kommen zu können.

Heute tut er so, als sei er harmlos. Kann sich förmlich an nichts erinnern. Ich aber. Er machte mich zur Mitwisserin. Oder zur Eigentlichwisserin.

© Eva Hradil 2022-07-05

Katzengeschichten

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