"Juchuh!"
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Diese Überschrift gab ich kürzlich einem handgeschriebenen Text. Was, wenn man den Inhalt des Textes kennt, überraschend ist. Aber „Mein letzter Wille“ oder gar „Testament“ darüber zu schreiben, über die Zeilen, die ich um ungefähr halb elf abends rasch notierte, mit schwungvoller Handschrift, erschien mir absolut übertrieben.
Und ich hatte auch gar nicht vor zu sterben. Was einem aber durchaus nicht daran hindern muss, es nicht dennoch irgendwann zu tun, wie wir uns unzweifelhaft ausrechnen können. Warum ich also genau an diesem Tag zu dieser Stunde an diesen finalen Programmpunkt auf der „To do Liste“ des Lebens dachte, war ein relativ hohes Fieber, das scheinbar meinen Organismus aufgekocht hatte. Die Walnussform des Gehirns war zusammengeschmolzen zu einem amorphen Glibber, der nur mehr die existentiellen binären Gedanken von 1 oder 0 hinbekam und 0 als plötzlich durchaus mögliches Resultat des Schlafengehens in Betracht zog.
So irgendwie erkläre ich es mir selbst. Weil, wie gesagt, ich hatte nicht vor zu sterben und – und hier kommen wir zum erstaunlichen Teil der Geschichte – ich hatte auch gar keine Angst davor. Ich hätte mich gestellt, wäre es denn so weit gewesen. Gleichzeitig war ich absolut bereit, mich fürs Überleben auszusprechen.
Ich überlegte mir einen für mich stimmigen Deal. Wie ich (dereinst) erkenne, ob es Zeit ist zu gehen oder ob es vielmehr Zeit ist seine Energien zu mobilisieren um zu bleiben und zu gesunden.
Vorausschicken muss man, dass ich vor Jahren dabei war, als meine Oma den binären Lebensschalter von 1 auf 0 kippte. Ihre letzten drei Monate hatte sie ihn bereits begonnen zu dimmen. Und an diesem Morgen, kurz bevor sie eben den Strom abdrehte, wurde sie abgeholt. Jemand stand in der Tür des Raumes, in welchem sie im Bett lag und ich am Sessel saß: Jemand, den sie strahlend ansah! Sie war erstaunt, da ich nicht ebenso reagierte. Ich nahm die Person in der Tür nur über die Reaktion meiner Oma wahr und übers Nachfragen: Oma, ist da jemand? Sie nickte lächelnd. Und so fragte ich: Vielleicht holt Dich jemand ab? Und sie nickte wieder. Und eine Minute später war sie an Bord der Transfermaschine, ließ nur das Verpackungsgewicht der Seele im Bett zurück.
Ohne sie gesehen zu haben, war und bin ich sicher, dass jene Person meine Mutter war, Omas einziges Kind, die vier Jahre zuvor an Krebs verstorben war. Und mein Fieber-Deal war, wenn eben meine Mutter und diese Oma und eine Katze, die ich „die Chefin“ genannt hatte, als sich darin einige Dreifaltigkeit vor mir stünden, dann wüsste ich, dass Widerstand zwecklos wäre und ich frei und munter loslassen könne. (Bei mir ist die Dreifaltigkeit also fest in weiblicher Hand.)
Sie gaben mir in jener Nacht kein Ticket. Der Schweinsgalopp des Herzschlages, der irgendwie der Intensität der Höhe des Fiebers gefolgt war, wurde ruhiger. Und ich stelle mich seither wieder den anderen Punkten auf der To do Liste des Lebens. Leider immer noch mit amorphen Glibber anstatt Gehirn…
© Eva Hradil 2023-01-10
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