Sauschlachten.
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Als ich ein Kind war, wurde bei uns zu Hause abgestochen. Einmal im Jahr für den Eigenbedarf. In der Früh war es noch ein lebendiges Schwein, zusammenhängend, am Abend war es in seine Bestandteile zerlegt. Der Vater hackte die Koteletts und sonst alles klein. Der Opa ließ das Schmalz aus und machte Grammeln und räucherte den Speck. Die Oma bereitete zu Mittag schon die Leber zu, sie machte Blunzen und Bratwürste, die Mutter war fürs Paketieren und Einfrieren zuständig...
Nichts, absolut nichts blieb übrig von so einem Schwein. Alles wurde verwertet.
Das Gleiche habe ich mit einem thronartigen Sessel, Familienerbstück aus dem Historismus, gemacht. Es hat nur länger gedauert. Ich habe ihn zerschnitten und jedes Teil anders und ihm eigen verarbeitet.
Ich bin brutal? Ja. Ich weiß das. Lass es mich erklären.
Ich habe zu viele Möbel, weil ich im Haushalt lebe, der zuvor meiner Oma gehörte. Und ich an ihren Dingen im gleichen Maße hänge, wie ich Oma vermisse. Aber das hielt mich dennoch nicht davon ab, mir hie und da auch eigene Möbel zu kaufen. Schließlich will man nicht in einem Museum leben.
Und da gab es dieses Möbelstück, ein Sessel, der wie ein Thron aussah mit sehr aufwendigen Schnitzarbeiten in Nussholz, die zum Teil skurril waren. So zeigten die beiden Armlehnen an ihrem vorderen Ende, da wo die Hände den Abschluss umstreicheln, jeweils die Zunge. Da war ein Gesicht eingeschnitzt, deren herausgereckte Zunge man aber nur sah, wenn man ein kleines Kind war, oder beim Putzen, weil man sich dann somit devot auf die Knie begab.
Kurz aufblitzende Gedanken, ich könnte den Stuhl als Material für Kunst verwenden – ich bin bildende Künstlerin – habe ich niedergedrückt. Und brachte ihn stattdessen in ein Auktionshaus, die auch Gefallen an ihm fanden und ihn im Katalog abdruckten. Aber dann fand niemand Gefallen an dem Kerl. Zuletzt nahm ich einhundertvierzehn Euro in die Hand, um meinen eigenen Sessel wieder aus den Fängen des Auktionshauses zu bekommen.
Und als ich ihm in meinem Kombi wieder nach Hause brachte, habe ich ihm über die Schulter hinweg zugeraunt: Und jetzt mache ich Kunst aus Dir!
Wobei das dann ohnehin noch zwei Jahre dauerte, bis ich den Mut gefasst hatte, die Säge in die Hand zu nehmen. Oder, bis der richtige Anlass gekommen war: eine Ausstellung gemeinsam mit einer Kollegin und Freundin. Und, weil unsere Malerei für den Raum nicht das Richtige gewesen wäre, zeigte Jenny Tuschearbeiten und ich die verarbeiteten Einzelteile des Throns, jedes mit seinem eigenen Inhalt, und ein kleines Foto von ihm als Ganzes.
Ich habe etwas zerstört. Mit Liebe und Wertschätzung zerstört. Und es damit in die Gegenwart gebracht. Die auffälligen Schnitzereien, an welchen die ihm nahen Menschen sich gewöhnt hatten, weil sie einen Sessel nur als Möglichkeit zum Sitzen oder Gewand ablegen wahrgenommen hatten, wurden so jeweils zum eigentlichen Mittelpunkt. Mehr als hundert Jahre nach ihrem Entstehen.
Abb: Der Handwerker (2017)
© Eva Hradil 2021-04-12
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