Umarmung
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Dieses Kapitel ist notwendig, weil die Umarmung im Tango so wichtig ist. Und gleichzeitig weiß ich jetzt gar nicht, wie ich beginnen soll. Oder mich überhaupt ausdrücken.
Noch dazu spürt sich diese Umarmung ja unterschiedlich an. Sie ist das arithmetische Mittel, jeweils von zwei Menschen erzeugt, mit ihren verschiedenen Voraussetzungen, Möglichkeiten und Tagesverfassungen.
Und dennoch weiß man selbst bei einem/r noch komplett unbekannten TanzpartnerIn schon VOR dem allerersten Schritt, dass es gut wird – wenn es gut wird. Weil eben schon diese Umarmung passt. Gegenseitig. Wenn man merkt, wie Elektroden sich kurzschließen, Kreisläufe sich mit gegenseitiger Energie versorgen, sich erst dadurch formieren, generiert werden.
Wer kennt den Film „Avatar“? Da gibt es diesen heiligen Platz unter einem großen Baum, wo sich diese blauen Wesen mit ihren Dings – wie nenne ich das? – in ein kollektives Bewußtsein andocken können. Und mit diesen Dings, dessen Begrifflichkeit ich nicht finde, docken sie auch an ihre Flugdrachen (wie heißen diese nun wieder?) an.
Eine gute Tangoumarmung ist wie eine solche Andockung. Wie ein gemeinsamer Energiekreislauf für die Dauer einer Tanda. Und der Follower wird zum Flugdrachen? Dieser Vergleich wird mir noch ordentlich um die Ohren fliegen, das kann ich schon erahnen. Aber ein bissi stimmt er, glaube ich. Weil es, wie in diesem Film, etwas Gegenseitiges ist, das stimmen muss, damit es stimmt. Im Tango aber nicht so ausschließlich wie im Film, im Tango hat jemand durchaus an einem Abend verschiedene stimmige Flugdrachen hintereinander. Und die Flugdrachen haben verschiedene blaue Wesen, von welchen sie verschieden durch die Lüfte dirigiert werden. Und beide sind vielleicht mit dieser Umarmung auch an das kollektive Bewusstsein des Tangos angedockt?
Okay – ich höre schon auf mit diesem Vergleich. Es ist einfach schwierig, es in Worte zu fassen, deshalb benutze ich gerne Bilder und Gefühle, die bereits existieren, wie es eben in diesem Film wirklich anschaulich dargestellt wurde.
Die Umarmung, heißt es im Tango, macht aus zwei Menschen ein gemeinsames Wesen mit vier Beinen. Ist dieser Vergleich besser?
Eine Umarmung kann komplett eng sein, Oberkörper und Gesichter begegnen einander, die Arme liegen nahe am Körper des anderen. Sie kann aber auch offen sein, mit Abstand zwischen den beiden Menschen, nur deren Arme und Hände berühren sich. Nähe oder Abstand sagen nichts aus über die Qualität der Umarmung. Sie kann so oder so wunderbar sein. Oder auch trotz körperlicher Nähe keine eigentliche Umarmung stattfinden.
Bevor ich mit dem Tango begonnen hatte, fiel es mir schwer, mich umarmen zu lassen. Ich glaube, ich wurde dabei steif und kam in eine Art Alarmbereitschaft. Durch den Tango habe ich gelernt, diese Nähe zuzulassen. Dem anderen gegenüber und mir selbst. Vielleicht, weil die Umarmung quasi zweckgebunden ist? Und ich genieße sie meistens, meistens, meistens sehr!
Abrazo.
© Eva Hradil 2021-11-08
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