Vom Leben und Sterben
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Dem eigenen Sterben bin ich schon einmal relativ kurzfristig entkommen, weil meine liebe Kollegin und Freundin Natalia mich auf eine drohende Sepsis aufmerksam gemacht hatte. Ich selbst hätte wohl den altbewährten Verdrängungs- und Abwartemodus aktiv gehalten, mit welchem ich im Normalbetrieb gerne unterwegs bin. „Die Schwellung des Handrückens kam über Nacht. Sie wird auch wieder über Nacht verschwinden.“ Diese Schlussfolgerung entbehrt doch nicht einer gewissen Logik?
Eine kleine Verletzung, wie man sie sich fast bei jeder Gartenarbeit zuziehen kann, in Verbindung mit dem Ausräumen der Dachrinne, in welcher neben Laub und abgefallenen Äpfel auch Fäulnis gelagert war, wäre mir fast zum Verhängnis geworden. Ich muss gestehen, seither mag ich die Dachrinne nicht mehr säubern. Ich bin quasi auf sie beleidigt.
Doch sonst bin ich eher die Mörderin als die Gemordete. Was im Kapitel “Vom Grasmähen” nur ansatzweise zur Sprache kam, schreibe ich hier klar und deutlich nieder: Als ich das Gras nur selten mähte, wurde ich dann, wenn ich doch wieder mal gemäht hatte, zur absoluten Mörderin.
Es ist so gemein und grausig, wenn man jemandem den Kopf abschlägt. Der fliegt dann zur Seite und bleibt vorwurfsvoll liegen. Und der Rest der Schlange windet sich noch eine ganz lange Zeit lang – vielleicht auf der Suche nach seinem fehlenden Teil. Und ich verkomme vor Mitleid. Weil ich ja genau das vermeiden will.
Einmal war es ein wunderschöner grüner Frosch in der Nähe des Vogelwassers, der dachte, im hohen Gras sei er sicher vor dem Grasmäher … Ihm fehlte nach der Erfahrung eines seiner Hinterbeine. So, so, so gemein. Er konnte sich von dort dann nicht einmal entfernen, weil er, wenn er versuchte wegzuhüpfen, nur in einer Kreisbewegung vom Nicht-Fleck kam. Mein schlechtes Gewissen, obwohl ich das ja nicht mit Absicht gemacht hatte, war so riesengroß, dass man darin locker Pottwale untergebracht hätte.
Zuerst wollte ich auch hier den Verdrängungs- und Abwartemodus nutzen, mit der Idee, dass die Natur sich selbst reguliert und ein Marder oder eine Eule den armen Frosch erlösen wird. Doch dann sah ich mit Grauen das weitere Grauen: Das Grauen war ziegelrot, wenn man in Spanien lebte, könnte man „erdrot“ sagen, weil gleich von einigen Seiten näherten sich spanische Wegschnecken mit der Aussicht auf ein Frosch-Abendessen.
Dass der arme Frosch nach seiner narkosefreien Amputation auch noch langsam bei lebendigem Leib aufgefressen werden sollte, das war dann selbst für meinen Verdrängungs- und Abwartemodus zu viel Arbeit. Ich nahm eine scharfe Schaufel, es war schon fast dunkel, und ich hielt mir mit dem linken Arm die Augen zu und mit dem rechten ließ ich das Schaufelblatt einige Male auf die Stelle niedersausen, von der der Frosch schon eine Stunde lang nicht wegkam.
Ja. Wo gelebt wird, wird leider auch gestorben. Diese Erkenntnis kennt kein Erbarmen. Sehr schlimm, wenn man daran mitarbeitet – unfreiwillig oder dann gerade aus Erbarmen.
© Eva Hradil 2021-06-17
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