skip to main content

#märchenhaft#mücken

Von den Gelsen

  • 72
Von den Gelsen | story.one

Die unangenehmsten Tiere meines Gartens sind sehr klein, sehr lästig und manche Jahre richtig zahlreich. Bei uns heißen sie Gelsen. Anderswo Mücken oder Moskitos. Blutsauger sind sie überall.

Ich habe schon Freunde, die ich als in sich ruhende Menschen beschrieben hätte, sich in Sekundenbruchteilen in hysterische Furien verwandeln sehen, ungefähr ein bis eineinhalb Minuten, nachdem sie aus dem Auto gestiegen sind.

Jö, Eva hat einen Garten. Es ist Sommer. Es ist so schönes Wetter. Lass sie uns doch besuchen. In ihrem Märchengarten. Sagen sich diese Menschen. Und sie haben recht. Allerdings gibt es eine Prüfung, wie fast in jedem Märchen, die bestanden werden muss.

Kein feuerspeiender Drache, der Jungfrauen frisst, sondern viele kleine Blutsauger, die Menschen und Tiere fressen. Tiere haben einzig manchmal mehr Schutz durch dichtes Fell oder sind vorsichtshalber Kaltblüter.

Ich selbst habe natürlich auch keine Freude von so einer blöden Gelse umschwärmt zu werden, schon ihr Reisegesang ist nervtötend, und jede Distanzveränderung damit wahrgenommen, und am gefährlichsten, wenn das Geräusch unvermittelt aufgehört hat, weil dann sitzt sie schon auf einem.

Mein Vorteil liegt immerhin darin, dass ich in dieser Ortschaft aufgewachsen bin. Mein Körper produziert nur mehr in Ausnahmefällen diese juckenden Stellen nach einem Gelsenstich, die man sich dann in Folge kratzt und verschlimmert – wenn sie mich an einem Fingerknöchel erwischt hat oder nahe an einem anderen Gelenk. Dort juckt es auch mich.

Meine Schwägerin, die von meinem Bruder gewissermaßen importiert wurde, auch aus Niederösterreich, aber 150 km weiter westlich, die Arme war in den ersten Jahren hier komplett zerstochen, wie man das anschaulich nennt. Mittlerweile hat sich auch ihr Organismus daran gewöhnt. Zahlreiche Gelsenstiche haben sie immunisiert.

Was nicht heißt, dass uns diese Tiere nicht zur Weißglut bringen können. Nachts im Schlafzimmer zum Beispiel. Es braucht die Ruhe von zehn Zen-Meistern, um sich hörenden Ohres absichtlich stechen zu lassen und zu hoffen, dass danach Ruhe ist. Und es ist ja nie – gar nie! – nur eine einzige im Schlafzimmer.

Es gibt aber auch Jahre, die werden selbst für Einheimische mühsam. Jahre, wo Hochwasser oder starker Regenfall auf eine Witterung treffen, wo es auch schon nachts warm ist. Dann kann man den Countdown herunterzählen. Zehn Tage danach sind sie da. Deren Larven können jahrelang in eingetrockneten Senken überdauern, Dornröschenschlaf, schon wieder märchenhaft, um auf das zeitgleiche Eintreffen von Wasserstand in dieser Senke und bestimmte Temperaturen zu warten, und um diese Senke, die dann eine Lacke ist, in der aber keine Fressfeinde wohnen, wie Frösche oder Fische, zum Brutkasten, zum Kreißsaal von wahrlichen Mehrlingsgeburten werden zu lassen.

Mein Cousin sagt, seien wir dankbar über die Gelsen, sonst hätten wir mehr Wiener da. Das klingt brutal, stimmt aber schon auch.

© Eva Hradil 2021-05-05

Gartengeflüster

Kommentare

Gehöre zu den Ersten, die die Geschichte kommentieren

Jede*r Autor*in freut sich über Feedback! Registriere dich kostenlos,
um einen Kommentar zu hinterlassen.