Von verschwundenen Bäumen
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Ich mähe mein Gras. Alles normal.
Zwei Wochen später: Ich mähe mein Gras und in einem Eck des Gartens liegt Strauchschnitt. Nicht mehr ganz auf der freien Fläche, sondern halb im Gebüsch, aber geschlichtet, alle Äste in der gleichen Richtung.
Ich drehe die Augen in die Richtung, in welcher das Gehirn in seinen dunklen Ecken nach einer Erklärung sucht. Warum liegt da Strauchschnitt? Wann hätte ich das in den vergangenen beiden Wochen geschnitten? Weshalb? Wo wäre das gewesen? Und warum hätte ich das in dieser Ecke liegen lassen?
Mein Gehirn läuft mit seinen Bemühungen, eine Erklärung zu finden, gegen die Wand. Sehr seltsam.
Beginnt so Alzheimer?
Einige Wochen später stehe ich am Kussröschenstrauch und schneide die verblühten Äste ab. Während ich diese Teile in die Schubkarre oder Scheibtruhe werfe, schweift mein Blick durch den Garten. Um plötzlich, wie festgesaugt, hängenzubleiben. An einer Stelle, wo nichts ist. Aber wo zuvor ein Kirschbaum stand. Na ja, das ist übertrieben. Es war ein wunderschön gerader, noch sehr dünner Stamm und oben drei oder vier Äste. Dieser Kirschbaum wurde wahrscheinlich durch die Vögel gepflanzt, indem einer einen Kirschkern in dieses niedrige Gestrüpp fallen gelassen hatte. Und der Kern konnte durch das niedrige Gestrüpp geschützt, unverletzt und kerzengerade, zu einem jungen Baum wachsen. Ich hatte das bemerkt und für gut befunden und ihm gesagt, er dürfe bleiben. Und jetzt war der Baum weg.
Man kann sein Handy verlegen. Seine Brille. Seine Schlüssel. Aber ich hatte zuvor noch nie einen im Boden verwachsenen Kirschbaum verlegt. Bin ich jetzt deppert geworden? Habe ich den Kirschbaum nur geträumt?
Mittlerweile war ich vom Kussröschenstrauch bis zum Missing Link gegangen. Ich stehe dort und starre ein Loch in die Luft. Ein kirschbaumförmiges. Und dann bemerken meine Augen einen ungewöhnlichen Kontrast. Nämlich am Stamm des richtigen Kirschbaumes, der, der schon einige Jahre lang dort steht, dessen Kirsche der bäumepflanzende Vogel vertragen hatte. Dieser Stamm wies zwei andersfarbige Stellen auf. Jemand hatte mit dem Stanleymesser oder einem starken Teppichmesser, einmal vertikal, einmal horizontal ein Stück Rinde abgelöst. Mit sehr viel Kraftaufwand.
Wer kommt in meinem Garten und versucht einen meiner Bäume umzubringen? Weil danach sah es aus. Als ob man die Lebenssaftzufuhr unterbrechen wollte, indem man beginnt die Rinde rundum abzutragen. Warum sollte das jemand machen? Wenn es gerade dieser Baum ist, wären das dann die Nachbarn gewesen, die beide über 80 sind? Nein … das kann ja nicht sein.
Ich ließ die Gartenschere und die Gartenhandschuhe fallen und ging ins Haus. Aufs Sofa. Nachdenken. Oder es versuchen, weil meine Fantasie nicht ausreicht, um auf eine Lösung zu kommen.
© Eva Hradil 2021-04-06
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