Von Vögeln
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Im Jahr des „als die Erde einen Virus bekam“ bekam ich den Video-Virus. Auf Initiative der Kulturabteilung des Landes Niederösterreich waren KünstlerInnen persönlich eingeladen, ein Video über die eigene Arbeit zu machen. Oder über das, was man stattdessen macht, weil man nichts machen kann.
Das fiel alles in die Zeit des ersten Lockdowns. Die KollegInnen, die ich unter normalen Umständen gequält, äh gebeten hätte, für mich den Videoschnitt zu machen, waren auf der sicheren Seite.
Und so lernte ich mir das selbst – mithilfe von YouTube-Tutorials.
Warum ich das erzähle? Weil ich im Jahr, als die Erde einen Virus bekam, mit meinem Handy Tonspuren aufnahm. Vogelgeräusche aus dem Garten und aus dem benachbarten Wald, der besonders vogelreich ist, weil der Wald eine Au ist.
Höre ich jetzt in diese verschiedenen Tonsequenzen hinein, ist das wie Zeit- und Raummaschinen. Jedes Mal klingen sie anders, diese Vögel. Sie brillieren, sie rufen einander, sie flirten und sie schimpfen. Man hört sie und weiß, das war eher auf einer Wiese als im Wald. Das war nahe von Wasser. Das an einem Feldrand. Das im Frühling. Und das schon gegen Herbst.
Selbst normales Vogelschimpfen klingt gut für die Ohren. Wenn es aber nicht nur lästig, sondern wirklich bedrohlich für z.B. eine Amsel wird, dann hört sich das Schimpfen anders an. Passiert das im Garten, und ich höre es, dann kann es sein, dass ich nachschauen gehe, ob und wie ich helfen kann. Eine Katze verjagen.
Einmal war es besonders seltsam. Ich bin in der Küche und merke, dass der normale Geräuschpegel sich verändert hat. Alarm signalisierend. Sogar mir, der ich ein Vogel in Menschengestalt bin, war das klar. Ich gehe auf die Terrasse … und merke, der Lärm kommt aus dem Apfelbaum. Normalerweise schimpft eine Amsel. Oder eine Meise. Der ganze Apfelbaum war in Aufruhr. Heftiges Gezeter, vielstimmig. Empörung bis richtig existenziell. Ich gehe näher. Niemand fliegt auf. Niemand fliegt weg. Obwohl ich schon ganz nahe bin, unter dem Apfelbaum. Und mich dort staunend ins Gras hocke.
Eine ungefähr eineinhalb Meter lange Äskulapnatter schlängelt sich langsam und unbeirrt durch das Geäst des Apfelbaumes. Sucht mit dem Kopf, wo der Weg weitergeht, und holt ihr hinteres Ende dann dorthin nach. Sie ist das Zentrum der Vogelschar. Unabsichtlicherweise deren Dirigentin. Es ist die Jahreszeit, wo alle diese kleinen Lebewesen gerade noch kleinere in Nestern sitzen haben. Die dort festsitzen. Und von wo man diese Schlange fernhalten will. Sie bieten sich jeweils immer kurz selbst an, um der Schlange eine Richtungsänderung zu generieren.
Das Schauspiel dauert ungefähr zehn Minuten. Danach löste sich der Tumult auf, obwohl die Äskulapnatter das nicht tat. Und keiner von uns – diverse Vögel und ich – beobachten musste, dass sie Eierspeis oder (Jung-)Vogerlsalat zu sich genommen hätte. Die aufgeregte Stimmung hatte sich verflogen. Vielleicht wussten die anderen Bescheid, weshalb so plötzlich. Ich nicht.
© Eva Hradil 2021-03-30
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