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#berufoderberufung#lebenslangeslernen

Was bin ich?

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Was bin ich? | story.one

Schon einmal im Leben habe ich mein Leben völlig umgekrempelt. Ich gab einen sicheren Job auf und sein regelmäßiges Einkommen, das genau dort unregelmäßig war, wo es sich besonders erfreulich anfühlte, bekam ich doch dreimal im Jahr doppeltes Monatsgehalt. Gleitzeit. Zentral gelegener Arbeitsplatz mitten in Wien.

Mein Instinkt sagte mir damals, wenn ich so weiter mache, Beruf und Berufung voneinander separiert, dann mache ich bald beides halb. Oder es zerreißt mich emotional. Meine Aufgaben im Rechenzentrum kann auch jemand anderer machen, war dann meine Argumentation, meine Bilder aber kann nur ich selbst malen.

Die erste Zeit nach dem ich gekündigt hatte, fiel es mir schwer, zu antworten, wurde ich nach meinem Beruf gefragt. Das eine war ich nicht mehr. Das andere noch nicht. Zumindest fühlte ich mich noch nicht dort angekommen. Wie, als wenn man einen Mantel besitzt, der zu groß ist, in den man erst hineinwachsen muss. Und das dauert halt.

Doch es klappte. Ich lebe nun schon wirklich viele Jahre als bildende Künstlerin, habe Malerei und Grafik zusätzlich studiert, schon auch deshalb, um Austausch zu haben. Von einem Tag zum anderen hatte ich ja keine KollegInnen mehr, kein berufliches Sozialleben, keine Gespräche auf Augenhöhe.

Gefühlsmäßig stehe ich gerade wieder vor einer Zäsur. Aber noch kann ich nicht sagen, wohin sie mich bringt. Der seltsame Einschnitt in unser aller Leben durch etwas, das weltweit nur ein paar Gramm wiegt, hat auch meinen Alltag verändert. Schon vor dem allerersten Lockdown packte ich mehr als gewöhnlich, als ich ins kleine Haus in meiner Heimatgemeinde fuhr, wo ich zuletzt nur ein bis zwei Tage pro Woche war.

Ich hatte mir Arbeit mitgebracht in Form meines Buchbinde-Equipments. Das Haus am Land ist für Malerei zu klein, bzw. meine Art zu malen passt dort nicht hinein. Dann kam eine supergeniale Einladung ins E-Mail-Postfach: Die Kulturabteilung des Landes Niederösterreich regte an, ein Video über die eigene Arbeit zu machen. Für all die Ergebnisse hatten sie einen YouTube-Channel eingerichtet: FREI HAUS.

Innerhalb von kurzer Zeit ein Videoschnitt-Programm zu finden, mit welchem mein betagtes Notebook kompatibel war, dieses zureiten zu lernen, während man schon das allererste Video schneidet und zusammensetzt um es vor der Deadline abzuliefern. War das genial! Ich habe viel geflucht, geschwitzt, nachgedacht, probiert. Neues lernen! In meinem Kopf sind völlig neue Räume aufgepoppt. Pop-Ups. Mit immer weiteren Links zu weiteren Möglichkeiten.

Mittlerweile bespiele ich einen eigenen YouTube Channel mit derzeit 20 kleinen Videos. Alle nicht perfekt, eher charmant. Ich habe mich wieder dem Landleben angenähert. Gleichzeitig vermisse ich mein schönes Atelier in Wien, das ich zuletzt vernachlässigt habe.

Wie werde ich all diese Bausteine zusammenbringen?

Bin ich denn noch Malerin? Was bin ich? (=Wer bin ich?) Jedenfalls selbst neugierig auf das Ergebnis…

© Eva Hradil 2021-05-20

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