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#wohlfühlort#erzählmalberlin

Drei Leben Hasenheide

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Drei Leben Hasenheide | story.one

Gerade das Studium abgeschlossen und dann; Lockdown. Irgendein neuartiges Virus nimmt alles für sich ein, inklusive meiner Lebensplanung. Es war im Frühling, als ich an einem Freitagabend, gelangweilt in der Hängematte auf dem Balkon unserer WG zwischen Hermannplatz und Schillerkiez lag und in der Ferne Musik hörte. Über die inoffiziellen Raves in den Berliner Parks wurde bereits in den Nachrichten berichtet.

Ich dachte nur kurz nach, dann zog ich meine Jacke an, füllte ein Einmachglas mit Wein auf und ging los. Drei Stockwerke die abgewetzten Treppen des Altbaus hinunter, am Späti noch eben Tabak gekauft und eine Kippenlänge später war ich in der Hasenheide. Den Rave zu finden war nicht schwer. Anschluss zu finden auch nicht, da die Gruppe offen und das Gemeinschaftsgefühl groß war. Die Raves wurden zu meinem festen Wochenendprogramm und die Hasenheide zum Erlebnisort. Das ging so lange gut, bis ich eines Nachts in ein Erdloch stolperte und mir mein Bein brach. Jedenfalls verbrachte ich die darauf folgenden sechs Wochen mit einem Gips am Bein wieder in der Hängematte auf meinem Balkon, der Musik in der Ferne lauschend.

Irgendwann hatte ich ein Date. Aus Bequemlichkeit schlug ich die Hasenheide als Treffpunkt vor. Wir spazierten nach der Begrüßung ein paar Schritte, es folgte der übliche Smalltalk und als es nach nur wenigen Minuten plötzlich anfing zu regnen, gingen wir vom Weg ab, ein Stück in den Wald hinein bis zu einer kleinen Holzhütte. Dort standen wir nun mit dem Rücken an die Außenwand der Hütte gepresst, um nicht nass zu werden. Die fast schon unangenehme Situation wurde aufgelöst, als er seinen Rucksack absetzte, eine Flasche Weißwein, zwei Gläser und eine Tüte Chips herauszog. Von da an nahm der Abend einen spannenden Verlauf und unsere Beziehung ihren Anfang.

Die Hasenheide hatte seitdem eine besondere Bedeutung für uns und wir liebten es, dort spazieren zu gehen oder nachts, ganz oben auf dem Hügel in die Sterne zu blicken und uns dabei zu betrinken. Ja, die Tradition mit dem Wein im Rucksack behielten wir bei. Solange, bis wir aufhörten uns zu lieben und ironischerweise waren wir mal wieder in der Hasenheide, als wir uns trennten. Trotz allem – oder gerade wegen der vielen Erinnerungen – mochte ich diesen Park und machte ihn zu meinem Erinnerungsort.

Zwar war mein Herz nun gebrochen, aber mein Bein dafür zwischenzeitlich verheilt. Ich fing an wieder mehr Sport zu treiben und ging fast jeden Morgen laufen. Auf den großen Grünflächen konnte man die ersten Sonnenstrahlen erwischen und auf Gruppen stoßen, die sich dort regelmäßig zum Yoga treffen. Ich beschloss, mich wieder mehr auf mich zu konzentrieren und fortan war die Hasenheide mein Wohlfühlort.

Eines Abends – es war schon wieder Frühling – lag ich in der Hängematte auf dem Balkon, als ich in der Ferne Musik hörte. Ich dachte kurz nach, zog meine Jacke an, füllte ein Einmachglas mit Wein und ging los. Hoffentlich breche ich mir dieses Mal nichts.

© Gipi 2022-02-07

Leben in Berlin

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