Ein bleibendes Stückchen Erinnerung
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In einem Fernsehbeitrag über die Probleme der Friseure in der Coronazeit, gab es Ratschläge, wie in dieser Zeit mit Kunden umzugehen sei. Das erinnerte mich spontan an meine eigene Lehrzeit als Herren- und Damenfriseurin.
Ist schon einige Zeit her, aber gewisse Begebenheiten bleiben einem im Gedächtnis haften. Ich war bereits im 2. Lehrjahr und durfte schon einige Kunden selbstständig bedienen. Bevorzugte Herren - meist in gehobener Stellung - wurden natürlich vom Chef persönlich bedient. Da scharwenzelte er um sie herum, dass es ein Wunder war, dass niemand im Salon auf dieser Schleimspur ausrutschte. Außerdem war er sehr streng. Als mir einmal eine Flasche mit Fixierflüssigkeit aus den Händen rutschte, wurde mir der Verkaufsbetrag! von meinem Lehrlingslohn abgezogen.
Bei einem Verdienst von S 80,- im Monat schmerzten mich die S 45,- damals sehr. Doch das war leichter zu ertragen als das Drama, das sich an einem Dienstag im Mai abgespielt und mich bis auf die Knochen blamiert hatte.
Ich plauderte gerne mit den Kunden über Gott und die Welt und flirtete ein wenig. Soweit das neben einem gestrengen Chef möglich war. Ich glaube, er war einer der wenigen Männer, die in den 60er Jahren bereits Multitasking beherrschten. Er redete mit seinem Kunden und horchte dabei wie ein Luchs auf das Gespräch, das seine Angestellten neben ihn mit den Herren führten. Ich weiß das, denn sein durchdringender Blick traf mich stets, wenn ich auf diskrete „Anfragen“ nicht gleich die entsprechend strenge Abfuhr erteilte.
An jenem besagten Dienstag im Mai war der Salon brechend voll. Ich schnitt einem feschen jungen Mann die Haare, während er mir von seinem Autounfall erzählte. Er schilderte gerade dramatisch den Schaden an seinem fast neuen Auto und ich widmete mich mit Hingabe seinem Haarschnitt. Daher bemerkte ich nicht, dass sich über seine Wangen Tränen langsam ihren Weg bahnten. Erst ein leichtes Stöhnen ließ mich aufschauen und fragen: „War der Schaden an Ihrem Auto denn gar so groß?“ Man weiß ja, welche innige Beziehung Männer mit ihrem fahrbaren Untersatz haben.
Doch er deutete wortlos auf seinen beigen Umhang, auf dem sich eine Blutspur zielsicher ihren Weg nach unten bahnte. Meine Schere hatte ein Stück Haut von seiner Ohrmuschel mit abgeschnitten, und in der Schnelligkeit, mit der meine Schere auf und zuklappte, hatte ich es nicht einmal bemerkt. Das Donnerwetter vom Chef will ich hier nicht näher ausführen. Er hatte alle Hände voll zu tun, um mit Hilfe von blutstillender Watte, das Malheur einzudämmen. Hat ganz schön lang gedauert. Auch der Kommentar der wartenden männlichen Kundschaft war so was von peinlich. Das schlechte Gewissen über den Schmerz, den ich dem jungen Mann zugefügt habe, blieb mir sehr lange im Gedächtnis, ehe das Leben mit seiner Vielfalt das meiste davon zudeckte. Ich bin mir sicher, dass ich im Gedächtnis des jungen Mannes lebenslang einen Platz in seiner Erinnerung habe. Das, ohne uns je näher gekommen zu sein...
© Heidrun Siebenhofer 2020-05-12
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