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Träumen wird man wohl noch dürfen...

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Träumen wird man wohl noch dürfen... | story.one

Vor mir auf dem Schreibtisch liegt eine Ansichtskarte von der Algarve. Die Stimmung des Bildes berührt etwas tief in meinem Inneren. Das Meer, das in ruhigen Wellen an den Sandstrand schlägt, signalisiert mir Weite und Öffnung nach außen. Es lockt mich, die Welt jenseits der Barriere blauen Wassers zu erkunden. Auf der Karte kann man die Blütenpracht nur erahnen, die sich in den Innenhöfen der für die Algarve charakteristischen weiß gekalkten Häuser dem Auge bieten. Überhängende dunkelviolette Blüten der Bougainvilleen und grüner Efeu überziehen großflächig felsigen Untergrund und beleben das Einerlei der Häuser, das nur gelegentlich von blauen Rahmen um Türen und Fenster unterbrochen wird.

Die klobig-kubischen Häuser erinnern an Nordafrika, an die maurische Vergangenheit, und um die blühenden Mandelbäume der Algarve ranken sich noch heute Geschichten von Tausendundeiner Nacht.

In Gedanken spaziere ich durch die malerisch engen Gassen, steige schmale Treppen hoch, wobei ich um die träge in der Sonne liegenden Katzen einen Bogen mache, um nicht auf sie zu treten. Aus den Gärten von Gasthäusern dringt der Geruch von „Caldo Verde“, einer Suppe aus Kartoffel und Kohl. Fast meine ich auch den „Flan“, den ortsüblichen Karamel-Pudding auf meinem Gaumen zu spüren. Mein Blick erfasst elegante Yachten im Hafen und bunt gestrichene Boote, denen man das Alter schon von weitem ansieht. Fischer hängen ihre Netze aus und sitzen rauchend auf einen umgedrehten morschen Kahn und unterhalten sich über Politik, Fischfang, Landwirtschaft und Frauen.

Erinnerungen an Bootsfahrten im Schein des Mondes, an die glutvollen Augen von Manuel dem Fadotänzer, werden in mir wach. Die Stimmung lässt das Gefühl von Sehnsucht nach Veränderung in mir aufkommen und ich werde mir plötzlich der Hektik bewusst, in die ich mich Tag für Tag einspannen lasse.

Wieder einmal einen Sommer lang die Sonne auf meiner Haut spüren, einen Sommer lang lieben und dabei die Seele baumeln lassen! Ja! Es ist so etwas wie ein Weckruf!

Plötzlich eine Hand auf meiner Schulter und die Aufforderung meines Mannes: „Wann gibt's heut endlich Mittagessen?“

© Heidrun Siebenhofer 2019-11-10

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