Meine Schwester
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Wir saßen am Esszimmertisch und ich wartete auf einen ruhigen Moment, um meiner Schwester vorzuschlagen, an einem Abend essen zu gehen. Seit sie drei Kinder hat, müssen wir uns schon ordentlich organisieren, um es mal hinzubekommen, zwischen Nase putzen, füttern, der Held des Legospiels zu sein und weiteren unverzichtbaren Dingen, etwas Zeit unter uns zu finden.
Trocken, fast so, als hätte ihr fünfjähriger Sohn eben einen Haufen Zigarren zu Whisky geraucht, antwortet er mir, dass ich morgen in Paris sein werde mit meiner Schwester. Nur er schien nicht überrascht. Al Capone ähnlich aß er seine Spaghetti mit Tomatensoße ohne echte Tomatenstückchen weiter und ich nahm an man würde mich aufklären. Meine Schwester lachte auf, schien aber auch verärgert wegen des Verrats ihres Sohnemanns.
Am Tag darauf packte ich tatsächlich eine kleine Reisetasche und wir machten uns auf den Weg nach Paris. Mit dem Schnellzug sind es nicht einmal zwei Stunden Fahrt. Während ich so im Zugabteil saß, neben mir Jugendliche, die gerade verliebt ihre Reise in die romantischste Stadt der Welt angetreten sind, dachte ich über meine Schwester nach: Sie war nur ein Stück älter als ich und somit gleichzeitig wie meine beste Freundin. Natürlich eine erwachsene Freundin mit viel Verantwortung und Aufgaben. Es entspricht also einer realen Freundschaft unter Menschen mit Arbeit, Kindern und einer 400 km weiten Distanz zwischen den Wohnorten. Kinder hatte nur sie, ich allerdings habe das Talent, mir so viel Arbeit aufzubürden, dass auch meine Wochenenden von schmaler Natur sind. Ich dachte also über meine Schwester nach, welche neben mir saß und mit mir sprach. Beinahe so, als würde ich ihr zuhören und gleichzeitig durch sie durchschauen. Meine Schwester ist eine Künstlerin. Schon früh konnte man erkennen, wie kreativ sie ist. Für ein Schulprojekt hatte sie mal ein Haus mit Garten basteln müssen und es war schon damals ein Meisterwerk der Architektur. Sie war nicht einmal zu faul, diesem Haus einen Weg aus kleinen, geschnippelten und bunten Mosaiksteinen voranzukleben. Im Leben hätten mich keine zehn Pferde dazu gebracht.
Sie ist also eine Künstlerin. Ihre abstrakten Bilder, die sie mit viel Leidenschaft auf die Leinwand bringt und die einen oft in eine Art Parallelwelt versetzen können, beschreiben am besten, wer meine Schwester ist. Die Kunstwerke sind vielfältig, originell, farbenfroh, scheinen nachdenklicher Natur. Sie sind voller Leichtigkeit und doch auch ernst zu nehmen. Die Bilder inspirieren einen. Die Farbverläufe sind klar und perfekt verarbeitet. Stellt man sich direkt vor eines der Bilder, scheint man von der Schönheit eingenommen zu sein. Wenn man seitlich betrachtet, wie die Farbe aufgetragen ist, erkennt man die vielen Muster und Strukturen, die die Bilder in sich tragen. Ja, das ist meine Schwester für mich, jedes dieser Details, die ich an ihrer Arbeit genauso liebe wie an ihr.
© Ida Manko 2022-03-21
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