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#therapie#depressionen#erwachsenwerden

Lena mit Coronafrust

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Lena mit Coronafrust | story.one

Lena setzt ihre Maske auf und steigt in den Bus. Ganz vorne hinter der rot-weißen Markierung ist noch ein Platz am Fenster frei und sie schwankt vorsichtig darauf zu, während der Bus losfährt. Als sie endlich sitzt, fangen die Gedanken an auf sie ein zu prasseln: Wieso ist sie nur so fies zu ihrer Therapeutin gewesen? Wie hält die das überhaupt aus? Bestimmt jammern sie alle wegen Corona voll. In letzter Zeit ist Lena öfters laut und aggressiv geworden, während der Therapiestunde. Diese Wut kennt sie gar nicht von sich. Lena ist verwirrt. Eigentlich war sie der Überzeugung, dass sie gar nicht wütend sein könne. Sondern Wut sich immer in einer Form von Trauer bei ihr ausdrücke. Nun gut, dann ist das im Grunde ein Fortschritt. Aber dieses trotzige Verhalten muss echt nicht sein, denkt sie sich.

Ihre Therapeutin meinte vor einigen Wochen, es wäre ein pubertäts-ähnliches Verhalten und zeige nur, dass sie sich dem Abschied nähern und Lena sich von ihr lossagen wolle. Nach fünf Jahren Therapie war es Zeit für Lena ein Enddatum zu bestimmen und das sollte der August 2021 sein. Der Abschied kommt also tatsächlich immer näher und seit Beginn der Pandemie vergeht die Zeit schnell. Nun wünscht Lena sich, sie müsse ihre Therapie noch nicht aufgeben.

Der Bus hält vorm Jugendraum an und Lena steigt aus, holt sich noch ein Brötchen beim Bäcker und geht dann in ihre Arbeit. Sie fühlt sich noch nicht bereit mit den Jugendlichen zu sprechen und verkriecht sich erstmal in ihrem Büro. Ein Kollege klopft an ihre Tür: „Hey, hast du die Nachrichten schon gehört?“ Noch bevor Lena verneinen kann und ihm mitteilen, dass sie ganz bewusst jeglichen Schlagzeilen ausweicht, spricht er einfach weiter: „Über Ostern ist 24 Stunden Ausgangsperre für alle.“ Der Kollege wartet kurz auf ihre Reaktion, schließt aber die Tür, als er merkt, dass Lena weiter unberührt in den Bildschirm ihres Computers starrt. Das war zu viel für sie. Noch während er den Satz begonnen hatte, konnte sie schon spüren, wie ihr Magen sich verkrampfte und nun waren sie wieder da. Diese Schmerzen, im Magen, an der Stirn und zwischen ihren Beinen. Das Gefühl von Machtlosigkeit. Dieser Moment, wenn deine Eltern dir einen wundervollen Ausflug versprechen und du dich schon lange darauf freust. Dann am Abend vorher kommt die Absage.

Lena spürt wie die Tränen hinter ihren Augen aufsteigen. Doch jetzt kann sie nicht heulen. Jetzt ist Arbeit angesagt. Sie wird gebraucht. Außerdem gehe es den meisten Menschen so viel schlimmer als ihr. Sie wollte an Ostern nur ihre Mutter besuchen und eine alte Freundin endlich wieder sehen. Lena weiß es ist absolut unnötig so zu reagieren, aber bei aller Liebe zu Gerechtigkeit und Solidarität, dieses ständige hin und her macht sie fertig. Sie wolle nur mal ein Wochenende sich wieder frei bewegen können. Und während Lena das denkt, kommen ihr die Tränen. Sie schluckt schnell und öffnet ihre E-Mails. Sie muss sich ablenken. Verdrängen. Jetzt ist Arbeit angesagt.

© Katharina Bacher 2021-04-01

Quarterlifecrisis

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