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#freundschaft#erinnerung#arbeitskollege

Die schöne Helene

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Die schöne Helene | story.one

Dietrich war ein wirklich liebenswerter Mensch. Unsere Büros im Auswärtigen Amt waren nicht weit voneinander entfernt auf demselben Flur. Er war der alte Hase, der schon lange dort arbeitete und viele Erfahrungen und Geschichten gesammelt hatte. Ich war da noch ein absoluter Frischling ohne Erfahrungen, aber ein paar Geschichten hatte auch ich schon zu erzählen. Wir verstanden uns von Anfang an sehr gut und verbrachten ab und zu gemeinsam die Mittagspausen miteinander in der hauseigenen Kantine oder wir schlenderten bei schönem Wetter rüber zum Gendarmenmarkt.

Meine Zeit im Auswärtigen Amt war jedoch mit den zwei Jahren, die ich dort verbrachte, recht kurz, da mein ehemaliger Chef, für den ich vorher im Notariat gearbeitet hatte, mich anflehte, wieder zu ihm zurückzukommen. Mittlerweile hatte ich auch festgestellt, dass ich im diplomatischen Dienst nicht meine Erfüllung fand, also drehte ich diesem den Rücken zu und nahm das Angebot an.

Doch der Kontakt zu Dietrich hielt noch über viele Jahre. Wir trafen uns regelmäßig an den Wochenenden mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen. Sie erzählten mir viele interessante Geschichten aus ihrer Zeit im Auslandseinsatz. Von diesen Reisen brachten sie oft auch ein paar Pflanzen mit, die nun mittlerweile im Wintergarten ihres Hauses ein neues Heim gefunden hatten. Unter anderem gab es auch einen Kaktus, der “Die Königin der Nacht” heißt und nur ein mal im Jahr für eine Nacht blüht. Dann legte sich Dietrich immer auf die Lauer, um die Pracht zu fotografieren. Und so kam es, dass er mir eines schönen Tages einen Ableger davon schenkte.

Ich nahm ihn mit nach Hause und stellte ihn auf mein Fensterbrett, wo er ein paar Jahre so vor sich hinvegitierte, bis ich mich erbarmte, dieses Pflänzchen mal in einen größeren und schöneren Topf zu stecken. Ab und zu kam auch mal ein neues Blatt dazu, aber ansonsten passierte rein gar nichts. Zwischenzeitlich war auch der Kontakt zu Dietrich ein wenig eingeschlafen und ich nahm mir monatelang vor, mich endlich mal wieder bei ihm zu melden. Als ich es endlich mal schaffte, ihm wenigstens eine E-Mail zu schreiben, bekam ich ein paar Wochen später eine Antwort. Doch nicht er schrieb mir, sondern seine Frau, die mir mitteilte, dass Dietrich unerwartet gestorben war. Ich war schockiert und unendlich traurig. Aber ich hatte noch etwas von ihm, diese Pflanze. Als ich sie so ansah, stellte ich fest, dass sie eine Knospe gebildet hatte. Sie bekam nach acht Jahren ihre erste Blüte, da taufte ich sie auf den Namen “Helene”. Nun legte ich mich auf die Lauer, um ihre Pracht in der Nacht zu bewundern. Seit dem hege und pflege ich sie und achte darauf, dass es ihr gut geht. Mittlerweile blüht sie sogar zweimal im Jahr und wird immer meine Verbindung zu Dietrich bleiben. Meine schöne Helene.

Letztens schenkte ein Freund mir einen Kugelkaktus, der zur gleichen Gattung gehört, so hat die Königin nun auch einen König, den ich Helmut nenne.

Und sie lebten glücklich und zufrieden …

© Katja van der Trappen 2023-02-05

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