Alpine Peace Crossing
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Alles an ihr war schwarz. Die langen lockigen Haare, die Balarinas, das T-Shirt, der Stoffrucksack, sogar die Augen. Mirjam, vierzehn, ist das erste Mal in den Bergen. Ihr Vater war mit ihr von Israel nach Österreich geflogen, um am Alpine Peace Crossing teilzunehmen. Der alljährlichen Friedenswanderung über die Krimmler Tauern.
Wir folgen einer der gefährlichsten und spektakulärsten Fluchtroute des "jüdischen Exodus". Im Sommer 1947 überquerten hier achttausend jüdische Überlebende des Holocaust die Hohen Tauern auf ihrem Weg zu den verschiedenen Hafenstädten nach Italien. Von dort fuhren sie mit dem Schiff weiter in den Nahen Osten, wo ein Jahr später der Staat Israel gegründet wurde.
Marko Feingold, der selbst vier Jahre KZ überlebte, entdeckte1947 diesen schmalen Fluchtkorridor. Die einzige Möglichkeit, um damals von Österreich nach Italien zu gelangen, denn Salzburg wurde von den Amerikanern kontrolliert und die ließen die Flüchtlinge durch. Feingold starb 2019 im Alter von 106 Jahren als ältester Holocaustüberlebender Österreichs.
Alljährlich findet im Frühsommer die APC-Friedenswanderung statt. Sie führt vom Krimmler Tauernhaus ins hochalpine Gelände bis zur Passhöhe des Krimmler Tauern auf 2634 Meter. Dieses Jahr sind wir 246 Teilnehmer. Die Jüngste ist gerade 7 Jahre alt, die Älteste 78.
Mirjam und ihr Vater unterhalten sich angeregt. Ich verstehe kein Wort. So klingt es also, wenn man Hebräisch spricht. Vielleicht erzählt er ihr gerade von der Flucht ihres Urgroßvaters im Jahr1947.
Der Fluchtablauf wurde von der jüdischen Fluchthilfeorganisation „Bricha“, vorbereitet. Alles war genau geplant. Dreimal pro Woche wurden im jüdischen Flüchtlingslager Saalfelden Gruppen von je 200 Personen zusammengestellt und bei Einbruch der Dunkelheit mit LKWs nach Krimml gefahren. Dort begann um 2 Uhr nachts der Aufstieg. Vorbei an den Krimmler Wasserfällen durch das Achental bis zum Krimmler Tauernhaus, wo die Letzten gegen 7 Uhr in der Früh ankamen. Dort konnten sich die Menschen ausruhen. Die Hüttenwirtin verpflegte die Babys.
Gegen 17 Uhr ging der 10stündige Fußmarsch weiter. Der anstrengendste Abschnitt stand noch bevor. Nur wenige Flüchtlinge hatten Bergerfahrung. Die Kinder wurden getragen. Vom Krimmler Tauernhaus waren noch 1000 Höhenmeter bis zum Krimmler-Tauern-Pass zu überwinden. 4 bis 5 Stunden dauerte es, bis der Alpenübergang erreicht war. Gegen 21 Uhr standen die Flüchtlinge auf dem 2634 Meter hohen Pass. Die hochalpine Grenze zwischen Österreich und Italien. Im Stockdunkeln erfolgte dann der Abstieg ins Südtiroler Ahrntal. Lampen durften nicht verwendet werden. In den Morgenstunden erreichten die Flüchtlinge schließlich Kasern auf der italienischen Seite.
Ich mache gerade Rast auf dem höchsten Punkt des Fluchtweges, dem Tauernpass und beobachte, wie Mirjam mit ihren Stoffschüchen durchs Schneefeld stapft. Ja, so geht es, das Erinnern. Mit Seele und Leib!
© Kurt Mikula 2019-09-09
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