Das aufgeflogene Bankgeheimnis
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Diese Zeilen waren dafür gedacht, nie geschrieben zu werden. Niemand sollte je von dieser Angelegenheit erfahren. Die Antwort auf die Frage „Wer war es?“ sollte ein ewiges Rätsel bleiben. Ich hatte alles penibel geplant. Nicht einmal meine Frau war in meine Machenschaften eingeweiht. Es gab also keine undichte Stelle. Das nun doch alles ans Licht kam, ist einem Umstand zu verdanken, an den ich in keinem Augenblick gedacht hatte.
Begonnen hat alles im März 2020. In dem Jahr, in dem Corona der Welt einen „Denker“ verpasste. Während mich die Menschen beim Spazierengehen im ersten Lockdown freundlich grüßten, länger als gewohnt stehenblieben, sich erkundigten, wie es mir geht und fragten, ob sie etwas für mich tun könnten, war ein Jahr später, bei der zweiten Generalschließung, alles anders. Die Ängste und Sorgen hatten die Menschen verändert. Die Hoffnung auf baldige Normalität hatte sich auf wollenen Socken davongeschlichen. Das Lachen war aus ihren Gesichtern verschwunden. „So kann das nicht weitergehen!“, dachte ich mir. „Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt“, das wusste schon Mahatma Gandhi.
Ich grübelte, wie ich das Lächeln zurückbringen könnte, und heckte einen genialen, wenn auch illegalen, Plan aus: Ich werde das ganze Saalachtal mit guten Gedanken und Inspirationen überziehen. Und ich wusste auch schon wie!
Bei meinen alltäglichen Waldspaziergängen traf ich überall auf die gemütlichen Rastbankerl, die unsere „Manda“ vom Bauhof alljährlich mit einem wunderschönen Dunkelgrün überziehen. Perfekt, um darauf mit weißem Acrylstift meine Gedanken und Glücksimpulse zu hinterlassen. Wie zum Beispiel „Schön, dass es dich gibt!“, „Augen schließen und genießen!“, „Einfach loslassen!“, „Dein guter Moment!“ oder „Nur Mut!“. Manchmal war es auch nur eine Einladung, die Sinne zu schulen. Du könntest ohne Weiteres auf das „Waldbeobachtungsbankerl“, das „Wasserhörbankerl“, das „Natur-Kino-Bankerl“ oder das „Nachdenkbankerl“ stoßen. Ich war erstaunt zu entdecken, wie viele Sitzgelegenheiten unsere Bauhof-Manda zu betreuen haben. Zwischenzeitlich warten weit über hundert Bankerl darauf, dich auf andere Gedanken zu bringen.
Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen meinerseits wurde mein „Bankgeheimnis“ eines Tages gelüftet. Simone, meine Ex-Schülerin, war die Erste. Aus der Wildentalschlucht schickte sie mir über WhatsApp ein Bankerlbild mit der Aufschrift „Die Sonne scheint heute für dich“, aus dem sie mich mit einem wissenden Lächeln anstrahlte. Versehen mit der Anmerkung: „Äh, die Schrift kenne ich doch!“ Wir beschlossen, das „Bankgeheimnis“ miteinander zu teilen.
Das nützte aber nichts mehr. Anscheinend haben viele meiner ehemaligen Schüler gut aufgepasst und kannten noch meine Handschrift. Denn permanent wurde ich von vertrauten, als auch wildfremden Menschen auf die Bankerl angesprochen. Eines war bei allen gleich: Sie hatten ein Lächeln im Gesicht.
© Kurt Mikula 2022-11-05
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