Der verrückte Hochzeitstag
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Hauptbahnhof Hamburg. Auf der Anzeigetafel lese ich „Hamburg - Freilassing“. Wir sind richtig. Zug fährt gleich ab. Wir steigen schnell ein. Er ist bumvoll. Ich gehe schon vor um zwei freie Sitzplätze zu suchen. Erster Wagon, zweiter Wagon. Im dritten Wagon treffe ich den Schaffner. „Fahrkarte bitte!“ Ich drehe mich um, denn meine Fahrkarte hat meine Frau. Aber ich sehe keine Esther. Das erklär ich dem Schaffner. „Dann gehen Sie einfach zurück und suchen Ihre Frau.“ Das mach ich dann auch. Durch den ganzen Zug, durch alle Abteile. Im letzten Wagon treffe ich Schaffnerin Nummer Zwo.
Ihr erklär ich das Ganze noch einmal, nur mit dem Unterschied, dass meine Frau wirklich nicht im Zug zu finden ist. Mittlerweile kommt auch Schaffner Nummer eins wieder dazu. Jetzt muss ich zahlen, denk ich. Weil das kann jeder erzählen, dass die Frau die Fahrkarte hat, die gar nicht da ist.
Ich muss so verzweifelt gewirkt haben. Er hat mir sofort geglaubt. „Wo wollens denn hin?“ „Nach Freilassing.“ „Der fährt nur bis München. Der Zug nach Freilassing ist hinter uns. Vielleicht sitzt da Ihre Frau. Habens ein Handy?“ Ich versuche meine Frau anzurufen. Sie hebt nicht ab. „Bleibens einfach mal da und beruhigen Sie sich. Ich komme in zehn Minuten wieder vorbei“, meint der Schaffner gelassen.
Rückblende. Orts- und Zeitwechsel zu meiner Frau: Ausgangspunkt Hauptbahnhof Hamburg. Ich steige gerade in den Zug. In diesem Moment sieht meine Frau, dass der Zug nach Freilassing dahintersteht. Versucht mir nachzurufen. Tür schließt. Zug fährt ab. Was machen? Sie steigt in den richtigen Zug ein. Versucht mich zu erreichen. Aber ihr Handy-Akku ist leer. Sie sucht ein Abteil. Dort erklärt sie einer alten Frau den Notfall und bittet um ihr Handy.
Ortswechsel zu mir. Mein Handy läutet. Gott sei Dank. Esther erklärt mir, dass sie mir hinterherfährt. Der Schaffner ist mittlerweile auch wieder da und hat eine Idee: „Am Bahnhof Hannover hält dieser Zug. Da können Sie aussteigen und auf den nachkommenden Zug Ihrer Frau warten. Ich muss da auch aussteigen und in den Zug nach Freilassing wechseln.“ Ich bin Gott froh über den Einfall und das Verständnis des Schaffners.
In Hannover steigen wir beide aus. Wir warten gemeinsam am Bahnsteig. Am Bahnsteig ertönt eine Lautsprecherdurchsage. „Der Zug nach Freilassing hat, wegen eines ärztlichen Notfalls 15 Minuten Verspätung.“ „Das wird doch nicht Ihre Frau sein?“, sagt der Schaffner im Ernst zu mir. „Nein, meine Frau hat eine robuste Natur.“
Der Zug fährt ein. Ich steige ein und finde gleich meine Frau. Wir umarmen uns. Die alte Frau im Abteil umarmt mich auch gleich. Alle anderen brechen in Jubel aus. Sie alle sind glücklich, dass wir uns wiedergefunden haben. Sie alle haben die Geschichte mitbekommen und dass wir heute unseren dreißigsten Hochzeitstag feiern.
Die weitere Fahrt war ein großes Holladrio. Wir sind uns als Fremde begegnet und stiegen als Freunde aus.
© Kurt Mikula 2019-07-24
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