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#veränderung#schule#schulleben

Die aussterbende Gattung der Lehrerdinosaurier

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Die aussterbende Gattung der Lehrerdinosaurier | story.one

Liebe Leser*innen!

Sollte Ihnen das Wort „Spiritusmatritze“ etwas sagen, nehme ich an, dass Sie zu den Lehrerdinosauriern gehören und altersbedingt auch schon zum Oberlehrer ernannt wurden. Obwohl ich erst in zwei Jahren in den ewigen Lehrerferienhimmel pensioniert werde, zähle auch ich mich bereits zu dieser aussterbenden Gattung. Angesichts des vermutlich geringen Altersunterschiedes erlaube ich mir, Sie ab jetzt respektvoll zu duzen.

Möglicherweise habe ich dich mit dem Schlüsselreizwort „Spiritusmatritze“ unwillkürlich in einen Flashback versetzt und du erinnerst dich, als wäre es gestern gewesen, an das Geruchserlebnis mit dem Matritzendrucker. Das war damals eine coole Sache.

Für meine Jungkolleg*innen: Man konnte damit damals relativ einfach eine Art Kopie herstellen, indem man eine mit Alkohol löslichem Wachs beschichtete Folie mit der Adler-Schreibmaschine betippte. Die Lettern durchlöcherten die Wachsschicht, durch die später die blaue Farbe drang. Deshalb war es verdammt wichtig, alle Tasten möglichst mit dem gleichen Kraftaufwand zu drücken. Du merkst schon, man musste damals als Lehrer auch handwerklich geschickt sein.

Die Wachsmatritze wurde anschließend auf eine Trommel gespannt, händisch gedreht und das saugfähige Papier einzeln hindurchgezogen. Unter der Trommel war ein mit Spiritus getränkter Schwamm, der das Papier durchgehend benetzte. Der Alkohol löste winzige Partikel von der Matritze und das zu bedruckende Papier nahm diese auf. Schon hatte man eine Kopie. Nachvollziehbar, oder?

Der Nachteil war, dass man selten mehr als hundert Abzüge machen konnte, weil die Wachsschicht aufgebraucht war und die Abzüge verblassten. Die meisten Jungs liebten die Spiritusmatritzenabzüge. Besonders die ganz Frischen. Die Blätter wurden mit tiefen Einatmungszügen über die Nase gezogen und die Spiritusdämpfe versetzten so manchen Schüler in wahre Glückszustände.

Doch die technische Schulentwicklung war nicht mehr zu stoppen. Mit dem ersten Schwarz-Weiß-Kopierer verschwanden der Matritzendrucker und die Glücksgefühle. Es bildeten sich lange Lehrerwarteschlangen vor dem Kopierer, denn der war unglaublich langsam.

Das änderte sich bald mit der neuen Generation von Kopierern, die sogar verkleinern und vergrößern konnten. Mittlerweile haben wir einen Multifunktionsfarbdrucker, der das analoge Dokument scannt, digitalisiert und speichert. Bequem vom Computer aus kann man dann 30 Kopien in der Minute hinausschießen. Nur lesen muss man noch selbst.

Seit kurzem sind wir eine digitale Schule. Jeder Schüler bekam einen eigenen Laptop und lernt, wie die digitale Welt funktioniert. Damit bewahrheitet sich ein altes Zitat: „Bildung kommt vom Bildschirm und nicht vom Buch, sonst hieße es ja Buchung.“ Jetzt müssen wir nicht mehr soviel kopieren. Das schont die Umwelt.

Nur eines hat sich in all den Jahren nicht geändert. Ein guter Lehrer kann durch nichts ersetzt werden.

© Kurt Mikula 2022-09-21

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