Draußen ist es besser
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Ich träumte von einem Leben in einem kleinen, schwedenroten Holzhäuschen mit weißen Fenstern und Türen und vielen großen Hortensienbüschen, die mit ihren roten und blauen Farbtupfern mein Herz erfreuen. Noch schöner jedoch als einen Traum zu haben, ist es, ihn zu verwirklichen. Ich habe gesucht, gegoogelt und gefunden. Ein 15 Quadratmeter großes Gartenhäuschen mit integrierter Terrasse im Schwedenstil. Klein, aber fein.
„Besser den Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach!“, sagte ich mir und verbrachte die nächsten drei Monate damit, die unzähligen Einzelteile des Gartenhäuschens zu einem beeindruckenden Ganzen zusammenzufügen. Und als der Herbst die Blätter fallen ließ, war auch ich fertig mit meiner kleinen charmanten Hütte. Fürwahr, ich war stolz und glücklich.
Der Raureif zog übers Land. Als der Winter vorüber war, fühlte sich mein Alltag so eingefahren an. Ich hatte Sehnsucht, mich wieder lebendig zu fühlen und die Sterne zu sehen. Genau dafür kam mir meine neue Residenz wie gerufen. Ich zog um, bugsierte das alte Holzbettgestell, das ich in der Hütte gelagert hatte, auf die Gartenhausterrasse, schnappte mir Matratze und Bettzeug und machte es mir in meiner neuen Schlafstätte bequem. Dort bin ich bis heute geblieben. Heute feiere ich Jubiläum. Meine zweihundertste Freiluftnacht. Fazit: Draußen ist es besser.
Ab März brauche ich keinen Wecker mehr. Frühmorgens um fünf Uhr wecken mich die Vöglein mit ihrem Gezwitscher. Anstatt mein Gedankenkarussell zu starten, beobachte ich, wie die Jungspatzen von der Buchenhecke bis zum Haselnussstrauch um die Wette flitzen. Ich bin mittlerweile begeisterter Hobby-Ornithologe und kenne sie alle, meine morgendlichen Freunde. Die Krähe, die beiden Türkentauben, das Amselquartett, die fünfköpfige Spatzenfamilie und die unzähligen flinken Kohlmeisen.
Seit dem Herbst hat sich mit meiner Nachbarin, die schon mehrere Sommer lang die Nächte auf dem Balkon verbracht hatte, ein kleiner Wettstreit entwickelt. Wer wird länger draußen schlafen? Unser Wetteinsatz: Eine Flasche Wein für mich, beziehungsweise eine Flasche Eierlikör für sie. Ich will unbedingt die Weinflasche gewinnen. Deshalb habe ich mir schon vorsorglich einen Schlafsack mit tierfreundlich gewonnener Daunenfüllung, einen großen Regenschirm für meinen allnächtlichen Bettzeugtransport, ein Thermometer und ein regendichtes Biwak besorgt. Das schützt mich auch vor den Schneeflocken, die der Wind auf die Terrasse fegt.
Von meinem Schlafplatz aus habe ich einen direkten Blick auf den Balkon meiner Nachbarin. Sie war ebenfalls nicht untätig und hat ein Tarp gespannt, dass sie vor Regen, Schnee und Wind schützt. Ich konnte auch in Erfahrung bringen, dass sie mit einer beheizbaren Überdecke arbeitet. Sehr schlau. Zweifelsfrei kämpft auch sie um ihren Eierlikör.
Das Thermometer zeigt heute minus vier Grad. Ich denke, das wird ein langer eisiger Winter für uns beide werden.
© Kurt Mikula 2022-02-03
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