Glaub nicht alles, was du denkst
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„Das habe ich vorher noch nie versucht. Also bin ich völlig sicher, dass ich es schaffe!“ Danke, Pippi, für diesen Mutmachergedanken.
Mut konnte ich wirklich brauchen, denn ich hatte schon beim Visualisieren meines Vorhabens die Hosen gestrichen voll. Unverwüstlich, wie der edle Ritter Don Quijote, stehen sie auf Plätzen oder Straßen und schmettern der Menschenmenge unbeirrbar ihre Lieder entgegen. Straßenmusikanten haben mich schon immer fasziniert. Das hätte ich auch gerne gemacht, mir aber nie zugetraut. Mittlerweile weiß ich, dass ich nicht alles glauben muss, was ich von mir denke.
Ich kontrolliere noch meinen Einradanhänger, ob auch alles festgezurrt ist. Hängematte, Schlafsack, Regentarp, Jausenbox, Wasserflasche und was ich sonst noch so für drei Tage brauche. Ganz oben die Gitarre. Los geht’s zur 6-Städte-Straßenmusiktour durch das schöne Land Tirol.
Ich bin bekannt für meine ungewöhnlichen Ideen. Und meine Frau liebt mich dafür.
Ich bin gut vorbereitet. Über den Winter habe ich auf der Gitarre neue Lieder einstudiert und die Texte auswendig gelernt. Doch einsam im Wohnzimmer singt es sich leichter als auf der Straße vor Publikum. Das wollte ich mal testen.
Deshalb fahre ich über die Osterfeiertage nach Linz. Dort kennt mich niemand. Ich stelle mich mitten in der Fußgängerzone, vor den Eingangsbereich eines aufgelassenen Einkaufsgeschäftes. Da hallt es ein bisschen. Ein super Platz!
Ich packe meine Gitarre aus, lächle der Welt entgegen und fange an zu klimpern. So eine halbe Stunde lang. Dann packt mich der Frust. Kein Mensch würdigt mich auch nur eines Blickes. Der Hut bleibt leer. Ich werde ignoriert! Herrgott nochmal! Singe ich wirklich so schlecht? Bob Dylan singt auch nicht schöner. Oder ist der ohrenbetäubende Lärm der Straßenbahn schuld daran, dass mich niemand hier bemerkt? Meine größte Angst hat sich bewahrheitet. Ich bin uninteressant!
Ich ertappe mich gerade dabei, wie ich mich ausgiebig im Selbstmitleid suhle. Schnell schüttle ich den Kopf. Stopp! Raus mit dem Mist. Das war vielleicht der wichtigste Moment meiner Straßenmusikantenkarriere. Jetzt war eine Entscheidung fällig: Einpacken und heimgehen, oder weitersingen. Und wenn ja, für wen? Ich sang weiter. Einzig und allein für mich!
All diese Bilder werden wieder lebendig, während ich mich über den Pass Strub in Richtung St. Johann abstrample. Dort erwartet mich unerwartet eine freudige Überraschung. Ein kleiner Fanclub hat sich eingefunden, um mir für die Tour alles Gute zu wünschen. Meine Freundinnen Simone und Anna sind auch da und singen „Über den Wolken“ lauthals mit. Ich bin gerührt. So ein schöner Beginn meiner Tour. „Jetzt kann nichts mehr schiefgeh’n!“, dachte ich mir.
Bis auf den Reifenplatzer im Niemandsland, den Überfall eines Moskitogeschwaders und den morgendlichen Regenguss der mich aus meinem Schlafsack gespült hat. Aber von alldem wusste ich noch nichts. Darum heißt es ja Abenteuer.
© Kurt Mikula 2023-01-26
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