Hund, Kobra, Frosch und das Schnürsenkelproblem
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Mein Röntgenologe blickte verkniffen auf das pulsierende Schwarzweißbild am Schirm: „Muskelbündelriss! Da wird wohl eine Delle bleiben.“ Das Ergebnis eines kleinen Ausrutschers am Dachstein. Sollte dieser Unfall eine Botschaft für mich bereithalten, dann wohl: Laaangsaaaamer! „Bitte Gott, gib mir etwas Geduld. Aber flott, wenn’s geht.“
Mein bewegungshungriger Körper wurde abrupt auf „Diät“ gesetzt. Für die nächsten Monate gab es als Hauptgericht zwei Krücken, garniert mit allerlei physiotherapeutischen Hausübungen. Ich war ein braver Schüler, machte fleißig meine Übungen und baute rund um die Delle wieder Muskulatur auf. Mit meinen Krücken zog ich immer größere Kreise um mein Zuhause, bis ich schließlich wieder freihändig gehen konnte.
„Gesundheit ist zwar nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts.“ Wie recht er hatte, der gute alte Schopenhauer.
Manchmal ist es nur ein klitzekleines Alltagserlebnis, welches aber eine entscheidende Wirkung auf das Mindset hat. Bei mir war`s das Binden meiner Winterschuhe.
Ich bückte mich, aber ich kam einfach nicht runter. Es fehlten rund dreißig Zentimeter zu meinen Schnürsenkeln, um sie in Schlaufen zu legen und zu verknoten. „Was? Jetzt schon“, tönte es in mir. „Kann man so schnell abbauen?“ Ich fühlte mich augenblicklich uralt.
Einen guten Tipp für mehr Gelenkigkeit erhielt ich von Thomas Brezina. Der ist auch in meinem Alter und muss es daher wissen: den „Sonnengruß“. Eine Art Joga für Anfänger. Den praktiziert er jeden Morgen elfmal. Super, dachte ich, das mache ich auch.
Ich holte die alte Yogamatte meiner Tochter aus dem Keller und fing an. Aufrecht hinstellen, Hände vors Herz und sammeln. Beim ersten Einatmen Arme nach oben und beim Ausatmen aus dem Becken nach vorn kippen. Autsch! Da war es wieder, das Schnürsenkelproblem. Unmöglich mit den Fingerspitzen den Boden zu berühren. Egal. Dann schwindele ich halt. Weiter zur Liegestütze und den Körper langsam ablegen. Ich hechle und hole tief Luft, denn es wartet bereits das erste Tier auf mich. Wenn du es schaffst, ohne Hilfe der Arme in die Kobra zu kommen, gratuliere ich dir. Bei mir war es eher ein Frosch. Nun mit den Füßen zurücktreten in den herabschauenden Hund. Der Popschi muss nach oben zeigen. Dann bist du richtig.
In dieser Position verharre ich einige Zeit. Denn mir ist nicht klar, wie es aus dieser Stellung möglich sein sollte, mit meinem rechten Bein an meinem rechten Ohr vorbei zu meinem rechten Handgelenk zu gelangen. Ich behalf mich, indem ich mit der Hand das Bein erfasste und nach vorne zerrte. Zuerst den rechten, dann den klinken Fuß. Das schoss mir gewaltig in den Rücken ein. Zu guter Letzt warf ich mit Schwung meine Hände nach oben und faltete sie wieder vor der Brust. Wunderbar. Die erste Runde war geschafft. War doch gar nicht so schwer.
Ich hab ein Jahr durchgehalten. Gratulation! Die tägliche Disziplin hat sich gelohnt. Und ich hab auch neue Schuhe. Mit Schnellschnürverschluss, ohne binden.
© Kurt Mikula 2022-03-23
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