Das beste aller Geschenke
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Felix betritt die Bühne. Seelenruhig baut er das Metallstativ auf und spannt das Flügelhorn ein. Die Schüler beobachten mucksmäuschenstill das Geschehen. Felix legt die Zehen seines linken Fußes an die Ventile und legt los, so ganz ohne Arme. Die Schüler staunen nicht schlecht. Felix Klieser ist einer der weltbesten und gefragtesten Hornisten. Er war bereits mit Rocklegende Sting auf Welttournee.
Das Konzert mit Felix war ein Geschenk von Marianne Hengl für unsere Schule. Sie ist Obfrau von RollOn Austria, einem Verein zur Förderung körperbehinderter Menschen und ein Wirbelwind im Rollstuhl. Mit ihrer quirligen, kraftvollen und selbstbestimmten Art entspricht sie überhaupt nicht dem gängigen Bild eines behinderten Menschen. Kein Hauch von arm, traurig, hilflos oder erfolglos. Mit dem Ziel, die „behinderte Welt“ zu verbessern, war sie Impulsgeberin für viele Leuchtturm-Projekte.
Soziales Engagement wurde in unserer Schule immer schon groß geschrieben. Beim großen „Star-run“ Charity-Lauf sprinteten fünfhundert begeisterte Kinder ihre Runden durch das Dorfzentrum von Lofer. Der Lauf entfaltete sich zu einem Feuerwerk an positiven Emotionen. Alle waren sie dabei: Die Kindergartenkinder, die Schüler, die Mütter und Väter mit ihren Kinderwagen, die lokalen Sportgrößen, die vier Bürgermeister und der Pfarrer. Und viele waren nicht zu bremsen. Im Rollstuhl freudig mitgeschoben wurden auch die Adressaten dieses Charity-Laufs: Manuel, sieben, der an einer Entwicklungsstörung des Zentralnervensystems leidet, und Lorenz, sechs Jahre, der mit dem “Angelman Syndrom”, geboren wurde. Die Schüler konnten am Ende die stolze Summe von fünfundzwanzigtausend Euro für behindertengerechte Umbauten übergeben.
Im Herbst waren die Schüler der vierten Klassen wieder einmal im Rollstuhl unterwegs. Alle öffentlichen Gebäude, Geschäfte und ärztlichen Einrichtungen wurden, aus dem Blickwickel eines Rollstuhlfahrers, auf ihre Barrierefreiheit getestet. In Lofer hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Besonders erfreulich sind die neuen barrierefreien Toiletten beim Rathaus und Friedhof. Auch die neue Apotheke erhielt von den Schülern die Bestnote „Sehr gut“ für die ebenerdige Rampe und die breiten Gänge.
Auch ich wollte die Erfahrung dieses Perspektivenwechsels machen. Also packte ich den Rollstuhl in mein Auto und fuhr über die Grenze ins benachbarte Bayern, um die City von Traunstein mit dem Rollstuhl zu erkunden. Dort kannte mich kein Mensch. Wenn ich im Rolli durch Lofer gerollt wäre, hätte das doch für einige Irritationen gesorgt. Nach drei Stunden Rollifahrt war ich geschafft. Mir war es noch nie so klar: Nicht behindert zu sein, ist kein Verdienst, sondern ein Geschenk, das uns jederzeit genommen werden kann.
Foto: Helena und Sheena testen die neue Apotheke auf ihre Barrierefreiheit.
© Kurt Mikula 2021-05-05
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