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Schneller als die Midlife-Crisis

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Schneller als die Midlife-Crisis | story.one

Ich steckte fest. Mitten in der Midlife-Crisis. Und das mit fünfundfünfzig. Was andersrum wieder bedeutete, ich werde hundertzehn Jahre alt. Super! Trotzdem. Ich musste weg. Am besten ans Ende der Welt. Und das war für mich die Ostsee. Denn weiter kann man mit dem Fahrrad nicht radeln.

Im Keller hatte ich noch ein Zelt vom Discounter, rosa Radlerhandschuhe aus den 90ern und mein Sieben-Gang-Rad. Ich war schon des Öfteren mit der Deutschen Bundesbahn bei meiner Tochter in Hamburg. Daher wusste ich, dass es immer schön flach dahingeht. Wenn man es genau bedenkt, geht es sogar ein bisschen bergab. Von 650 Metern, da wo ich wohne, auf 0 Meter, da wo das Meer ist. Eine Freundin riet mir jedoch dringend vom Sieben-Gang-Radl ab.

Mein Sohn, Tobi der Große, überließ mir dankenswerterweise sein Mountainbike. Nicht meine Rahmengröße, aber dafür hatte es viele Gänge. Dann hatte ich für den Notfall noch ein altes Tastentelefon und meine kleine Digital-Kamera. Ich will ja später was zum Herzeigen haben. Das Einzige, was ich kaufen musste, waren zwei Satteltaschen aus LKW-Planen. Bei der Radkarte sparte ich. Denn bis Salzburg kannte ich den Weg. Dann musste ich einfach dem Inn folgen, bis ich Regensburg erreichte. Dort würde ich mich weiter durchfragen. Perfekter Plan!

Ich gab meiner Frau einen Kuss und radelte wie ein Wahnsinniger los. Ich fuhr meiner Midlife-Crisis regelrecht davon. Während meiner ganzen Reise begegnete ich ihr niemals wieder. Schon am ersten Abend hatte ich stechende Knieschmerzen und einen nächtlichen Wadenkrampf. Meine Tagesetappen wurden sogleich bescheidener und ich lernte Magnesium kennen.

Bei meiner weiterführenden Regensburger Recherche musste ich erstaunt feststellen, dass doch noch einige Höhenmeter auf mich warteten. Die waren mir beim Zugfahren gar nicht aufgefallen. Ich überlegte mir folgende Strategie: Statt mich über die Berge zu quälen, radelte ich einfach die Flüsse entlang, also um die Berge herum. Denn Flüsse fließen beständig abwärts und landen, gezwungenermaßen, irgendwann mal im Meer. Und da will ich ja hin. Ich folgte also der wilden Saale, der schönen Elbe, dem langweiligen Elbe-Havel-Kanal und der romantischen Havel bis ins Herz Berlins, nahm dort noch den 160 km langen Berliner-Mauerradweg mit und strampelte schließlich durch Mecklenburg-Vorpommern Richtung Ostsee.

Wären da nicht die unzähligen Reifenplatzer, der Dauerregen, die Wasserfontänen der vorbeifahrenden Autos, die vielen Berge - mit dem Um-die-Berge-Rumfahren, hat’s nicht so geklappt - der ständige Gegenwind, meine zu Eis gefrorenen Zehen, die Schleimspuren auf meinem Schlafsack und die elendslangen, holprigen Kopfsteinpflasterstraßen aus der ehemaligen DDR gewesen, könnte ich von einer schönen Reise sprechen.

Das war‘s aber nicht. Nein, es war mit Abstand meine aller-allerbeste Reise. Ich bin angekommen. Ganz bei mir.

© Kurt Mikula 2023-01-25

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