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Sterben - gar nicht so schwer

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Sterben - gar nicht so schwer | story.one

„Wenn es Sommer ist, möchte ich eine Erdbestattung. Aber im Winter möchte ich verbrannt werden.“ „Wieso?“, fragte ich meine Mutter. „Weißt du? Im Winter bei den Minustemperaturen ist der Boden ja pickelhart. Und die Bestatter müssten dann bei Eiseskälte das Grab ausheben.“ Typisch Mama. Denkt immer so praktisch.

Sterben war für sie nie ein Problem. Erstens glaubte sie unumstößlich an die leibhaftige Auferstehung bei Gott. Und zweitens freute sie sich schon auf ein Wiedersehen mit Toni. Ihrem geliebten, geschiedenen Mann und Vater ihrer vier gemeinsamen Kinder.

Eigentlich wäre ich jetzt auf einer Radtour. Doch irgendwie zog es mich zu meiner Mutter ins Altersheim. Da muss Gott mich wohl gelenkt haben. Was ich da sah, war ein Häufchen Elend. Seit meinem letzten Besuch vor zwei Monaten wurde aus meiner pausbäckigen Mama ein karges Gespenst mit knochendürrem Gesicht und großen Augen. Sie konnte kaum mehr schlucken und nur noch einzelne Worte stammeln. Ich streichelte ihre Hände aus Wachspapierhaut und die eingefallenen Wangen. Doch ihre Augen blickten hellwach in meine.

„Wie lange noch?“, fragte ich die Pflegerin. „Fünf Tage, vielleicht“. Mit dieser Antwort hatte ich nicht gerechnet. Meine Geschwister und ich dachten eher in Monaten, wenn nicht in Jahren. „Wein“. „Sie wollen Wein, Frau Mikula?“, fragte die Pflegerin. „Bringe ich ihnen gerne.“ Ich war erstaunt. Aber es hätte mich andererseits auch verwundert, wenn sie gesagt hätte: „Um zehn Uhr morgens schon Alkohol? Frau Mikula, das ist nicht gut für ihre Gesundheit!“ Ich benetzte mit einem weingetränkten Wattestäbchen ihre Lippen und ich trank aus dem Glas. So feierten wir unseren Abschied und stießen auf das großartige Leben an. Das war ein starker Moment. Ein Bild, das mich heute noch berührt und ich als Kraftquelle in mir trage.

In dieser Woche hatte Mama viel Besuch. Alle kamen. Wir Kinder, ihre Schwiegertöchter, ihre Freunde, ihr Bruder, ihre Enkel und ihre Urenkel. Es wurde viel geweint, gelacht und gesungen. Und pünktlich, am Ende der Woche, schlief sie friedlich ein.

Beim Totengedenken, am Vorabend des Begräbnisses, hatten die Besucher die Möglichkeit, nach vorne zu kommen, eine Kerze anzuzünden und wer wollte, konnte auch etwas über Elfriede erzählen. Das wurde ausgiebig genützt. Über eine Stunde lang berichteten Freunde, Nachbarn und Enkelkinder, was sie mit Mama erlebt hatten, was sie an ihr mochten und was sie von ihr lernen konnten. Was ich da noch alles über meine Mutter erfahren habe, das war spannend.

Obwohl es Sommer war und demnach auch keine Minustemperaturen in Sicht waren, ist es nun trotzdem ein Urnengrab geworden. Für eine Erdbestattung war kein Platz mehr auf dem Harder Friedhof. Neben Mamas Urne steht noch eine kleine Urne von einem Kind. Das ist gut. Die Beiden passen jetzt aufeinander auf.

Einen Teil der Asche hat mein Bruder zu Papas Urnengrab nach Kärnten gebracht. Eine späte, langersehnte Wiedervereinigung.

© Kurt Mikula 2022-03-02

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