story.one für Legastheniker
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Deutsch: Genügend! Lesen: Genügend! So stand es fein handschriftlich eingetragen in meinem Zeugnis der dritten Klasse Grundschule 1971. Gott sei Dank stand Fleiß, Betragen und Religion immer an erster Stelle. Da hatte ich fast immer Einser. Ich weiß nicht, ob meine Lehrer das Wort Legasthenie überhaupt kannten. Damals hatte man nicht eine Rechtschreibschwäche, sondern war einfach nur dumm. Und das glaubte ich damals auch. Diktate waren für mich sowieso der Horror. Da hatte ich die Frau Lämmerer. Spitzname: Lämmergeier. Ich hatte jedesmal verdammte Angst davor, wieder lauter Fehler zu machen. Und genau so war es jedesmal. Alles rot. Seitdem ist grün meine Lieblingsfarbe.
In der Hauptschulzeit kam ich in Deutsch nie über ein "Befriedigend" hinaus. Egal wie sehr ich mich auch bemühte. Es fehlten in meinen Aufsätzen einfach zu viele Endungen oder die Buchstaben waren verdreht. Ich sah sie einfach nicht. Für die Deutschschularbeiten legte ich mir folgende Strategie zurecht: Kein Wort mehr schreiben als gefordert. Viel schreiben heißt viele Fehler. Viele Fehler bedeuteten eine schlechte Note.
Nur einmal in meiner Schulkarriere habe ich in einer Deutschschularbeit ein "Gut" bekommen. Hat mich riesig gefreut. Aber ich weiß bis heute nicht, was ich da anders gemacht habe. Vielleicht hatte mein Lehrer einfach nur Mitleid mit mir.
Die elterliche Hausbibliothek bestand aus zirka 5 Büchern. Mein Lieblingsbuch war "Das Lexikon von A bis Z". Da waren viele Bilder drinnen und der Text war kurz. Sinnerfassend lesen war nämlich sehr mühsam für mich. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass ich irgendein Buch von meinen Eltern bekommen hätte - außer Micky Maus. Mein erstes richtig dickes Buch habe ich mit 23 Jahren gelesen: "Stein und Flöte". Damit konnte ich das erste Mal in so eine wunderbare Buchwelt eintauchen.
Heute bin ich ein glücklicher Legastheniker. Das verdanke ich erstens dem Rechtschreibprogramm. Ich liebe diese kleinen roten Striche, die mich auf fehlende Endungen und verdrehte Buchstaben aufmerksam machen. Zweitens verdanke ich das story.one. Hier habe ich die Freiheit des Schreibens entdeckt. Und man darf kurze Geschichten schreiben. Und drittens verdanke ich das der Wissenschaft. Die hat nämlich Folgendes festgestellt:
"Luat enier sidtue an eienr elgnhcsien uvrsnäiett, ist es eagl in wcheler rhnfgeeloie die bstuchbaen in eniem wrot snid. das eniizg whictgie ist, dsas der etrse und der lztete bstuchbae am rtigeichn paltz snid. der rset knan tatol deiuranchnedr sien und man knan es ienrmomch onhe porbelm lseen. das legit daarn, dsas wir nhcit jeedn bstuchbaen aeilln lseen, srednon das wrot als gzanes."
Bild: Mein Zeugnis aus der dritten Klasse Volksschule
© Kurt Mikula 2019-07-17
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