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#demut#schreiben#grenze

Ein unmoralischer Cuvée

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Ein unmoralischer Cuvée | story.one

Viele hören nur das, was sie hören wollen, und nicht mehr. Wie der Jan. Jan macht alles, womit man gut Geld verdienen kann. Er steht allmorgendlich mit dem Mantra auf, dass sein aktueller Job der pekuniär beste der ganzen Welt ist und er der Welt (mitsamt seinem Bankkonto) dadurch einen großen Gefallen tut. Einmal habe ich Jan bei einem Glas schwerem Rotwein gefragt, was er gerade so macht. Anfangs hat er sich ein wenig geziert, dann wurde er aber redselig: “Aktuell arbeite ich beim Prinzen in Saudi-Arabien!”

Auf viele macht das einen großen Eindruck. Weil, ein Prinz ist schließlich ein Prinz. Einen hatte ich sogar einmal in der Nebenklasse. Alfred Prinz hat er geheißen. Ich wusste, dass es in Saudi-Arabien nicht nur einen, sondern viele Prinzen gibt. Jans Prinz war der saudische Sicherheitsprinz und Jan war der Sicherheitsmanager des Prinzen. Als Zaunbau-Manager war er für Zäune (genauer genommen für den Grenzzaun zum Jemen) zuständig. Ich war überrascht, dass sich der Jan beim Zaunbau so gut auskennt … wobei, der Jan kennt sich eigentlich überall aus. Solcherlei Menschen werden immer und jederzeit gebraucht. Er kennt sich auch bestens mit alten Autos, edlen Weinen und noblen Immobilien aus. Kurzum: Wenn es um Gewinnmaximierung geht, dann ist auf ihn Verlass. Ich schweife ab … “Warum braucht der Prinz einen Zaun zum Jemen?”, war meine naive Frage.

Die Antwort war klar und aus Jans Sicht logisch nachvollziehbar: “Der kommt wegen dem IS!” Der IS sollte durch Jans Zaun davon abgehalten werden, dass er nach Saudi-Arabien eindringt und dort die rechte Ordnung zerstört. Ich verstand nur nicht, warum gerade eine Terrororganisation vor einem Zaun zurückschrecken sollte. Auch hier hatte Jan eine passende Antwort parat. Der Zaun war nicht irgendein Zaun, sondern ein hochtechnologisches, elektrisches Bauwerk.

“Im Prinzip wie unsere Weidezäune. Nur fünf Meter hoch, Stacheldraht und mit Starkstrom gespeist. Das haut die stärkste Kuh um!”

Sein Jobprofil bestand im lückenlosen Aufbau des Stromzauns samt -schlag zum Jemen. Darauf war er sichtlich stolz. Ich wollte wissen, ob der “Terrorist” bei Zaunkontakt verstirbt. Seine knappe Antwort war: “Klar!” Aber der Jan, ganz Weltmann, beruhigte mich: “Die am Zaun montierten Kameras sind hochintelligent. Sie detektieren den Terroristen hundert Meter vor dem Zaun und lösen Alarm aus. Hört er diesen nicht, ist er selber schuld, taub oder wirklich bös!”

“Wie stehst du zu den Hinrichtungen in Saudi-Arabien?” Dazu konnte Jan nichts sagen. So eine Hinrichtung müsste er schon mit eigenen Augen gesehen haben. Davon hat er, wenn er bei den Saudis zu Besuch war, noch nie etwas mitbekommen. Eine Frage brannte mir noch auf der Zunge.

“Was, wenn das gar kein Terrorist, sondern ein Flüchtling ist? Im Jemen gibt es Flüchtlingslager!”

Darauf wusste selbst der Jan einmal keine Antwort. Wie taub und blind darf man beim Geldverdienen eigentlich sein? Die Antwort ist vermutlich so schwer wie Jans Rotwein.

© Martin Buchgraber 2020-09-09

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