Schulterschluss im Herrgottswinkel.
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“Schulterschluss”, ein Begriff, den ich kürzlich wieder vernommen habe. Ein Ausdruck, der schon längst aus unserem Sprachgebrauch verschwunden sein sollte. Dennoch, hat er sich wieder durch die Hintertür in unsere Alltagssprache zurückhereingeschlichen.
Diese Formulierung basiert auf der Idee, dass man sich “Schulter an Schulter” für die gemeinsame Sache einsetzt, sich solidarisch gegen einen gemeinsamen Feind verbündet; also eine kraftvolle Allianz unter Gleichgesinnten bildet.
Der erste, geschichtlich dokumentierte “Schulterschluss” entstand im 18. Jahrhundert und beschrieb eine typische Schlachtordnung. Die Infanterie wurde in langgezogener Linie aufgestellt, um möglichst viele Gewehre gegen den Feind gleichzeitig zum Einsatz zu bringen. Die Flügelmänner hatten die Aufgabe, stets fest nach innen zu drücken, um die Linie bei Ausfällen durch Getroffene geschlossen zu halten und die gepressten Soldaten am Desertieren zu hindern. Hier herrschte, im wahrsten Sinne des Wortes großer Druck.
Schulterschlüsse gab es auch in der Politik immer wieder. 1931 fand ein solcher statt, als sich die rechte “Nationale Opposition” in Deutschland (NSDAP, DNVP und der Stahlhelmbund) gegen die anderen Parteien formierte. Sie bildete einen Schulterschluss gegen die Weimarer Republik. Bei den anschließenden Wahlen bekamen die 3 Parteien über 50 % der Stimmen. Übriggeblieben vom Schulterschluss der nationalen Opposition ist letztlich nur die NSDAP. Und was dabei herausgekommen ist, das wissen wir. Die anderen Parteien wurden gleichsam zwischen den Schultern zerquetscht, zermatscht und zerbröselt.
Eine breitenwirksame Aufforderung zum Schulterschluss finde ich demnach schwer bedenklich. Sind wir, als “das Volk”, wirklich alle gleichgesinnt und gleichdenkend?
Schnell wird heute etwas zu einer Schlacht oder einem Krieg hochstilisiert. Keiner stößt sich daran, wenn sich diese Begriffe ungefragt in kleinen Portionen in unserem Leben einnisten und keimen. Diese erdrückende Kriegsrhetorik kriecht über den Hintereingang wieder in die gute Stube. Sie fühlt sich unterm Herrgottswinkel so wohl, wie der schwarze Pudel in Fausts Studierzimmer.
Es heißt oft gerne, “Spezielle Situationen erfordern spezielle Begriffe!” Ich persönlich finde, dass dies nicht korrekt ist. Ich verwehre mich gegen die populistische, von der Politik geförderte Meinungs-Taub- und Blindheit! Ich will mich weder an Präsidenten mit martialisch-narzisstischer Sprach-Diarrhö, noch ans Wiederkäuen von vorgefertigten Meinungsalgorithmen gewöhnen.
Dieses “Nach”-denken schafft kurzfristig Geborgenheit und trügerische Sicherheit im eigenen Herrgottswinkel.
Gedankenfreiheit, Achtsamkeit und Respekt bilden jedoch die langfristig-gesicherte Grundlage für ein freies, friedvolles Miteinander in einer lebenswerten, “nachdenkenden” Gesellschaft – ganz ohne Schulterschluss.
© Martin Buchgraber 2020-08-27
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