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#zuhören#herzlichsteirisch#eigenartig

Vull Rausch statt Full Haus

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Vull Rausch statt Full Haus | story.one

Wir waren auf Tournee mit unserem ersten Kabarett-Duo-Programm. Überall, wo man uns ließ, spielten wir. Auch beim urigen “Kulturwirt” im Grazer Umland. Die Bezeichnung „Kulturwirt“ war mutig, “Urviech” wäre adäquater gewesen. Der Wirt war einer, der schon alles erlebt hatte, alle kannte und dem man nichts mehr erzählen brauchte. Bei Gasthaus-Gigs war es so, dass der Wirt die Promotion übernahm. Er hängte im örtlichen Umkreis die Künstler-Plakate auf und verteilte Flyer an die Gäste. Beim „Kulturwirt“ hatten wir schon einmal gespielt und es war, das kann ich auch heute noch mit Fug und Recht behaupten, ein voller Erfolg. Also durften wir ein zweites Mal kommen.

Wieder übernahm der Wirt die Werbung. Der Auftrittstag war gekommen. Wir packten das Auto und fuhren los. Auf dem Weg hielten wir neugierig nach unseren Plakaten Ausschau. Entdecken konnten wir keine. Beim ersten Auftritt war das anders gewesen. Da hingen wir direkt neben dem Neujahrsplakat des Bürgermeisters. Beim Wirt angekommen begrüßte uns dieser sogleich mit den resignierenden Worten in stark steirischer Dialektfärbung: “Heit san net sou vül Resarvierungen!”

Ob der Fixgage, stolzen 400 Euro, tangierte uns dies kaum. Für uns samt mitreisender Technikerin eine Menge Geld. Wir hofften auf Laufkundschaft und begannen, unsere Anlage aufzubauen.Der Wirt fragte, ob wir bei einer Absage mit 100 Euro zufrieden wären. Wir verneinten, da wir unseren Teil des Vertrages erfüllt hatten. Wir wollten unbedingt spielen. Komme, was da wolle.

Der Vorstellungsbeginn kam in großen Schritten näher, das Publikum nicht. Das Urviech meinte: “Des is heit gaunz a bleida Termin, wal es is Freitag. Dou proubt dei Blausmusik und dea Eisschützenverein hout sei Jahreshauptversaummlung.” Da hatte er eine brillante Idee. Er setzte sich kurz vor Vorstellungsbeginn in seinen Vitara und fuhr weg. Eine halbe Stunde später kam er zurück und berichtete, dass weder der Blasmusikverein noch der Eisschützenverein kommen könnten. Er befragte uns erneut, ob wir mit der halben Gage bei sofortiger Heimreise zufrieden wären. Waren wir noch immer nicht. Wir wollten gesehen und gehört werden. Er bestieg abermals sein Auto. Wir warteten im leeren Wirtshaus.

Bei seiner Rückkehr verkündete er stolz: “Dei Eisschützen kummen in zwanzg Minuten!” Wir machten uns wieder bereit. Es blieb ruhig, nur Andrea Berg kam aus dem Radio. Plötzlich wurde die Tür forsch aufgerissen: “Wou is deis mit dem Kabaräiii?” 20, zum Teil stark angeheiterte Eisschützen im Retro-Trainingsoutfit fielen polternd in die Wirtsstube ein. Nachdem sie ihre Biere bestellt hatten, starteten wir.

Beim verhaltenen Schlussapplaus erwachte ein Eisschütze, der an der Bar eingeschlafen war: “Is dei Sitzung schou aus?” Seine Kumpels fanden das höchst amüsant. Das war das erste Mal, dass alle 20 laut gelacht haben.

Es war wahrlich ein lehrreicher Abend für mich, denn ich habe gelernt, dass niemand zum Zuhören gezwungen werden kann.

© Martin Buchgraber 2020-09-21

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