Cimitero Acattolico
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Kopfwehwetter. Aber die Sonne scheint. Ein Spaziergang täte mir gut. Mit den Öffis weiter wegzufahren nicht. Also auf den angrenzenden Friedhof, Südwest. Kaum betrete ich den alten Teil, sehe ich nicht die einheitlich wirkenden Grabsteine hier, sondern die des “Cimitero Acattolico" in Rom vor mir. 2010 habe ich dreieinhalb Monate lang nicht weit von diesem “nicht-katholischen" Friedhof gewohnt. Viele ausländische Protestanten wurden hier beerdigt. Die letzte Ruhestätte von August Goethe habe ich gefunden. Obwohl am Grabstein nur als “Goethes Sohn" ausgewiesen. Recht unauffällig auch das Grab Antonio Gramscis. Schriftsteller, Journalist, Philosoph und Mitbegründer der kommunistischen Partei Italiens. Starb nach langen Jahren im Gefängnis, mit 46. Auf dem Grabmal des britischen Dichters John Keats stehen die Worte “Hier liegt einer, dessen Name in Wasser geschrieben wurde”. In Schreibschrift. Ganz unten. Am Sockel.
Italien-Einwanderer, Touristen, Angehörige jeglicher Religionen, aber auch Atheisten liegen hier begraben. Manche seit bald 300 Jahren, unweit der Porta San Paolo, am Fuße der Cestius-Pyramide. Das Spazierengehen dort ein Eintauchen in eine andere Welt. Unter duftenden Zypressen, Palmen und Pinien. Es ist ein sonniger Frühlingstag. Ich sehe efeuumrankte Engel, Stelen, Mausoleen, Figuren aus Stein und Marmor, kunstvoll trauernd. Mit Inschriften verzierte Sarkophage. Auf einem hingegossen liegend, die Figur eines jungen Mannes. “Er war geliebt, von allen, die ihn kannten”: Devereux Plantagenet Cockburn, ein britischer Dragoner. 1850, im Alter von 21 verstorben. Seither liegt sein Abbild hier, nachdenklich schaut es mit pupillenlosen Augen ins Jenseits. Wie mir scheint. In der linken Hand ein Buch, der Daumen als Lesezeichen zwischen den marmornen Seiten. Ein steinerner Cockerspaniel hat sich an den steinernen Körper gekuschelt.
Blätter rascheln. Kein Hund. Eine Katze. Eine von vielen, die hier am Gelände dieses parkartigen Friedhofs leben. Die Streuner werden von tierliebenden Menschen gefüttert, gepflegt, medizinisch versorgt, kastriert. Damit die “gatti della Piramide” nicht noch mehr werden.
Ich höre das sanfte Schnarren einer Krähe. Ich bin auf Wiens zweitgrößtem Friedhof. Es ist Februar. Mein Blick wandert über die Gräber. Mir fällt auf, dass auf sehr vielen Putti sitzen. Kleine, kindliche Engelgestalten, meist in Weiß, das Kinn in die Hand gestützt, andere richten ihren Blick nach oben, zum Himmel hin. Der heute blau ist. Eine Statue stehend, halblanges, lockiges Haar. Ernst sieht der junge Engel auf das Grab, sein rechter Flügel abgebrochen, auch der kleine Finger der rechten Hand, in der er eine Rose hält. Blätter rascheln, die Luft ist winterlich. Kühl. Auf einem herzförmigen Stein die Inschrift: “Manchmal ist Schweigen lauter als ein Schrei”.
© MaschataDiop 2021-02-22
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