Der Ararat muss warten
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Franz tritt heftig auf die Bremse. Es kracht, der Aufprall drückt mich in den Sicherheitsgurt, den ich erst wenige Kilometer zuvor angelegt habe. Ich weiß nicht, was passiert ist. Ich habe auf die Karte geschaut, ob wir auf dem richtigen Weg Richtung Kusadasi sind. Sind wir. Stehen aber jetzt geschockt am Straßenrand. Der Lieferwagen, der ein Auto überholt und unseres übersehen hat, fährt davon. Franz blutet, die Handbremse hat sich in sein Knie gerammt. Mein Brustbein schmerzt, aber sonst sind wir ok. Unser Auto nicht. Ein deutsches Paar hat die Nummer des fahrflüchtigen Lenkers notiert, die Polizei informiert. Wir werden in ein kleines Hotel in Kusadasi einquartiert, dessen Besitzerin Deutsch spricht.
Franz und ich hatten andere Pläne gehabt. Wollten mit dem zu einem Wohn-Auto umgebauten Renault 4 durch das ganze Land, bis zum Berg Ararat. Stattdessen sitzen wir in einem Touristenkaff fest. Es ist Sommer 1987. Hitzewelle. Tausende sterben. Und wir? Überleben Fahrten mit dem öffentlichen Bus nach Izmir, um Ersatzteile für die Reparatur des Autos zu besorgen. Quetschen uns in einen Dolmus zum Nationalpark Dilek, weil wir hoffen, dort einen ruhigen Platz zum Schwimmen im Meer zu finden. Vor allem aber schwitzen und essen wir. Aus Kusadasis winzigen Garküchen dringt schon am Vormittag der Duft von Pide, Adana Döner, Reis, Schaschlik und Köfte in unsere Nasen. Dazu genießen wir jede Menge knuspriges Ekmek. Und immer Cacik. Joghurt kühlt ja so schön. Und die Preise sind günstig.
“Ihr werdet immer dicker”, stellt Moustapha fest. Der Angestellte in einem Teppichgeschäft im Bazar hat recht. Moustapha ist in Düsseldorf aufgewachsen, dann musste er zum Militärdienst in die Türkei, danach war der Aufenthaltstitel für Deutschland weg. Nein, für den Kauf eines Teppichs reicht unser Geld nicht. Trotzdem bietet uns Moustapha jedes Mal Cay an, wenn wir vorbeischlendern. Und passiert das abends, wird die Rakiflasche hervorgeholt. “Serefe! Prost!” Ich mag den Anisgeschmack nicht, also trinkt Franz möglichst unauffällig mein Glas leer.
Ich plaudere lieber mit Volkan. Er studiert Geschichte und führt Touristen durch die Ausgrabungsstätten von Ephesos. Auch er hat lange Zeit in Deutschland gelebt. Er erzählt mir von seiner Freundin Emine, von den sexuellen Übergriffen, die Frauen in den stets überfüllten öffentlichen Verkehrsmitteln ausgesetzt sind. Und wie ohnmächtig er sich fühlt, weil er sie davor nicht schützen kann. Volkan übersetzt mir Texte türkischer Liedermacher und nimmt uns gratis mit zu seinen Führungen nach Ephesos.
Bis zum Abschluss des Prozesses dauert es Wochen. Danach begleicht “Efes Pilsen” unsere Hotelrechnung. Es war ein Mitarbeiter, der in seiner Freizeit mit dem Firmenwagen den Unfall verschuldet hat. Wir fahren zurück nach Wien. Langsam. Mit dem Auto. Die Reparatur war nur mäßig erfolgreich. Der Ararat muss warten.
© MaschataDiop 2021-01-30
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