Petra
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Tok, tok, tok, tok. Was ist das? Ich bin auf dem Weg in ein Dorf auf der griechischen Insel Lesbos. Allein. Meine Freundin kommt erst eine Woche später. Wir haben ein Zimmer in der Frauenkooperative in Petra gebucht. Ich habe beschlossen, die Gegend zu erkunden und ins darüberliegende Bergdorf zu wandern. Der Blick auf die Bucht von dort oben wurde in einer Ö1-Radiosendung gerühmt. Von seltsam klopfenden Geräuschen auf dem Weg dorthin war nicht die Rede. Ich bleibe stehen, spüre mein Herz heftig schlagen. Nicht wegen des steilen Aufstiegs. Ja, mir ist ein wenig mulmig zumute. Das Geräusch ist unheimlich. Zu sehen ist niemand. Weder folgt mir jemand auf der schmalen Straße, noch geht jemand vor mir. Das Bergdorf ist noch weit.
Am linken Straßenrand fällt der Hang steil ab, bewachsen mit Olivenbäumen. Ich blicke hinunter zum Meer. Die Wasseroberfläche silbirg, sirrend. Dazwischen kleine Inseln. Rechter Hand eine Wiese, hohes, verdorrtes Gras, Macchia. Ich atme tief ein, rieche den Duft der von der Sonne ausgedörrten Wildkräuter. Von dort kommt dieses Klopfen. Mir wird klar, dass ich Nachschau halten muss, soll die leise Furcht in mir aufhören. Ich stapfe also ins kratzige Gesträuch und sehe nach wenigen Schritten ... 2 Schildkröten, die Liebe machen. Ihre Panzer krachen dabei rhythmisch aufeinander. Ich lache und steige weiter bergan.
Am nächsten Tag gehe ich fröhlich - in neuen Ledersandalen - zu Fuß nach Molyvos und weiter bis nach Eftalou. 8 Kilometer. Ich schwimme im Meer und lasse danach meinen müden Körper ins Thermalwasser gleiten, das in ein seichtes Natursteinbecken unter einer weiß getünchten Kuppel geleitet wird. Meine blasenübersäten Füße färben sich noch röter, das Wasser hat 43 Grad. Ich wandere am Strand entlang, lasse die Kiesel meine Sohlen massieren. Am Horizont die türkische Küste. Der Wind zaust meine kurzen Haare, gerade noch gelingt es mir, meinen Strohhut festzuhalten. Auf der Fahrt zurück mit dem Bus schreit der Karelia-rauchende Chauffeur jedem ihn überholenden Wagen ein “Malaka” hinterher. In Petra riecht es nach Holzkohle und frisch gegrilltem Fisch.
“Kannst dich noch an unseren Griechenlandurlaub 1991 erinnern?”, frage ich meine Freundin." “Ja, klar”, sagt sie. Erinnert sich, dass auch sie sich Sandalen gekauft hat, aber nicht daran, dass uns der Zimmerschlüssel am Strand von Petra verloren ging. “Aber an die riesige Spinne in der Badewanne?" “Nein! Aber wir haben viele Geschichten geschrieben”, sagt sie. “Wirklich? Ich erinnere mich viel mehr daran, dass wir oft mit Pastellkreiden gezeichnet und einander vorgelesen haben! Am Strand, im Kafenion", sage ich.
30 Jahre ist das her. Ich war seither nicht mehr auf Lesbos. Die Frauenkooperative gibt es immer noch. Und die Erinnerung an eine Insel, die damals mit der antiken Dichterin Sappho in Verbindung gebracht wurde. Und nicht mit unmenschlichen Zuständen in Europas größtem Flüchtlingslager.
© MaschataDiop 2021-01-26
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