Simons Zimmer
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Er hatte in einem ehemaligen Hotel gewohnt. Damals, in Kapstadt. Ein hochaufragendes Betongebäude in einer Reihe von in viktorianischem Stil erbauten kleinen Häusern. Mitten auf der Partymeile der Stadt. Simon teilte sich die Miete mit 3 Freunden aus seiner Heimat. Der Lift war kaputt, 7 Stockwerke zu Fuß, die 3. Tür rechts, ein kleines Zimmer, dunkel, das Fenster mit einem geblümten Tuch verhängt. Gegenüber das Gebäude, in dem der „Dubliner“ Black Label und Live-Musik bot.
Leichter Zigarettenrauch in der Luft. Und Kaffeeduft. An jeder Wand 2 Matratzen auf dem Boden. Seine die rechts vom Fenster. Gleich zu erkennen. Akkurat ein grau-weißes Leintuch, ein kleiner Polster, eine Steppdecke, blau wie der Polsterüberzug, daneben seine Trainingsschuhe, Flipflops, ein Rucksack. Über der Matratze, seitlich, ein schmales Holzbrett, darauf eine Rasierklinge, eine Zahnbürste, ein Stück Seife. Auf einem Haken daneben ein Handtuch. Am Fußende der Matratze ein Karton, darin 2 Unterhosen, 2 T-Shirts, 2 Paar Socken, ein kleines Französisch-Englisch-Wörterbuch. Über die Kiste gebreitet die Warnweste, gelb-orange.
Unter der Matratze eine unebene Stelle, da lagen 2 medizinische Fachbücher. Im Rucksack eine Flasche Haarshampoo, ein Aftershave, eine winzige Flasche Eau de Toilette, ein Notizbuch, ein Bleistift. Die plastik-braune Geldbörse, darin ein paar Münzen, 2 zerknitterte Geldscheine. Ein schwarzes, aufklappbares Nokia-Wertkartenhandy. Ein Kondom. An den Wänden abblätternde Farbe. Das Poster eines Basketballspielers. Kritzeleien, Tagesstriche. Unwillkürlich musste sie an ein Gefängnis denken.
Auf den anderen Matratzen Wolldecken, bunte, ein wenig zerknäuelt, nicht so glatt gezogen wie auf Simons Bett. Am Plafond eine fliegendreckverkrustete Glühbirne, eine Streichholzschachtel am Fensterbrett, eine halb abgebrannte Kerze auf einer Konservendose. Kein Kühlschrank.
Sie wusste nicht, wann ihr Simon zum ersten Mal aufgefallen war. Sie hatte bei einer Gastfamilie gewohnt. Ihr täglicher Weg führte sie von deren Wohnung im bürgerlichen Gardensviertel die Kloof Street bergab. An der High School vorbei. Auf der Mauer davor saß Simon. Sah meistens auf sein Handy. Hörte er ein Auto langsamer fahren, hob er den Blick, sprang behände auf den Gehsteig, eilte in Richtung des sich nähernden Fahrzeugs, winkte mit seinen langen Armen in Richtung der nächsten Parklücke. Sein schlanker Körper, die Baseballkappe, die orange-gelbe Warnweste, wie sie alle Parking-Guards in Cape Town trugen, damals im Jahr vor der ersten Fußball-WM in Afrika.
Er war der Hoffnung auf anständige Arbeit gefolgt, wie viele aus seiner Heimat, dem Kongo. Doch hier war kein Geld zu machen, kein würdevoller Job zu kriegen, erzählte er. Damals. An ihrem letzten Abend in der Stadt.
Sie hatte Simons Zimmer nie betreten. Aber es immer vor sich gesehen, wenn sie an ihn dachte. Als hätte sie ein Foto davon gemacht. Mit ihrer inneren Kamera.
© MaschataDiop 2021-02-14
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