Von einer die auszog, das Lernen zu wagen
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“Wozu braucht eine Frau Matura? Sie heiratet ja eh und kriegt Kinder!” Sagt mein Vater, gelernter Feinmechaniker. Meine Mutter, Buchhalterin, setzt durch, dass meine Schwester und ich aufs Gymnasium gehen können. Allerdings nur in die Unterstufe. Danach heißt es: “Nachhilfestunden können wir uns nicht leisten!" Für den Bau eines Einfamilienhauses wird gespart. Ich komme in die Handelsschule. Schon im 1.Jahr versuchen mich die Lehrenden zu motivieren, in die Handelsakademie zu wechseln. “Da hast wieder Mathematik. Du hast in Mathe grad ein `Genügend´ gekriegt, weil der Professor wusste, dass du austrittst", so meine Eltern.
Ich bleibe in der Handelsschule, schließe sie mit Vorzug ab. Absolviere eine Lehre als Buchhändlerin, ziehe aus. Mein Gehalt als ausgelernte Buchhändlerin liegt deutlich unter jenem meiner Handelsschulfreundin. Sie arbeitet als Anwaltsgehilfin – einer der schlechtest bezahlten Berufe, die in den 1980er Jahren nach einem HASCH-Abschluss zu kriegen sind. Sie liebt ihren Job. Ich bin von meinem enttäuscht. Nicht aufgrund der Tätigkeiten, sondern weil er keinerlei Aufstiegschancen bietet. Das Geld zur Eröffnung einer eigenen Buchhandlung habe ich nicht. In der Berufsschule darf ich ohne Matura nicht unterrichten.
Ich spare. Nach knapp 3 Jahren investiere ich das Geld. In mich. Schreibe mich in den Aufbaulehrgang für HAK-Matura ein. Damals, 1984, ein zweijähriger Schulversuch. 36 beginnen in meiner Klasse. 12 steigen auf, zur Matura antreten dürfen 8. Ich bestehe. Inskribiere an der Universität mein “Traumstudium” Germanistik. Muss dafür das Latinum nachholen. Für die vorbereitenden Vorlesungen fehlt mir die Zeit. Ich jobbe. Mein Vater weigert sich, mich finanziell zu unterstützen. Ich schaffe dennoch das Latinum. Arbeite als Putzfrau, Buchhändlerin, Losverkäuferin, Sekretärin, Redakteurin. Jobbe weiter, auch als mein Vater dann doch das Minimum zahlt, das “gesetzlich vorgeschrieben” ist. Wie er mir schreibt.
Ich merke, dass mir vieles, was an einer AHS gelehrt wird, an der Uni fehlt. Zwei Jahre braucht es, bis ich wieder mit Lust Lesen kann. Wechsle auf Hauptfach “Geschichte”. Schließe mein Diplomstudium nach langen Jahren mit Auszeichnung ab. Arbeite 10 Jahre als “freie” Redakteurin, später als Angestellte. Beginne ein Masterstudium. Gehe in Bildungskarenz. Schließe das Studium mit Auszeichnung ab.
Ich bin die erste Akademikerin in meiner Familie. Warum es mir gelungen ist, den in Österreich bis heute existierenden “sozialen Numerus clausus” zu überwinden? Weil ich hartnäckig bin? Weil ich ehrgeizig bin? Wissbegierig? Neugierig? Ja. Und vieles mehr. Doch ohne den Geist der 1970er Jahre und der Botschaft der 1.Frauenstaatssekretärin Johanna Dohnal “Mädchen haben ein Recht auf (höhere) Bildung!” hätte ich es nicht gewagt, mich auf den Weg zu machen.
Mein Abschlusszeugnis aus der 4. Klasse AHS weist übrigens einen Notendurchschnitt von 2,0 auf.
© MaschataDiop 2021-02-27
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